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Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Titel: Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kolja Alexander Bonke
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der Bühne des Striplokals und versteckte sie in meinem Keller. Mit 8 oder 10 Jahren! Wenn ich daran denke, was dieses Bild in mir auslöste und kleine Jungs heute völlig selbstverständlich mit Gangbang-Videos auf dem Handy spielen, wird mir schlecht. Meistens zwinge ich mich dann, das Positive an solch einer Entwicklung zu sehen: Als Dating Coach geht mir dadurch das Geschäft nicht aus — zumindest für Jungs erleichtert massenhafter Konsum von Pornographie nicht den Zugang zum anderen Geschlecht, sondern erschwert ihn!
     
    Ich tue, was ich bei Ratlosigkeit immer tue: Ich frage
Google
. Und tatsächlich, mein Lieblingssuchmaschinengigant liefert mir schnell einen Artikel, der mir weiterhilft.
     
    „Wir sind alle potentielle Mörder, wir sind alle potentielle Vergewaltiger, Missbrauchstäter“, sagt der bekannte Sexualforscher Volkmar Sigusch in einem Interview mit
spiegel.de
.
     
    Okay, meine Sorgen sind durch diese Expertenmeinung jetzt nicht unbedingt kleiner geworden.
     
    Ich überfliege den Artikel bis mein Handy klingelt. Sinas Nummer wird auf dem Display angezeigt. Leider ist am anderen Ende der Leitung nicht Sina, sondern ihre Mutter. Wir kennen uns nicht und ihre Stimme klingt brüchig. Es sei etwas Schlimmes passiert und ihre Tochter läge im Krankenhaus, sagt sie. Sina habe gewollt, dass ich benachrichtigt werde.
     
    ***
     
    Die Tür von Sinas Krankenzimmer ist geschlossen, ihre Mutter steht davor. Eine gepflegte Frau um die 50 mit Stil, die vor 20 Jahren sehr attraktiv gewesen sein muss. Ihr laufen Tränen über das ansonsten fast unbewegte Gesicht. Jede einzelne schockiert mich, auch wenn ich keine Ahnung habe, was los ist.
     
    „Sina wurde heute Morgen von einer Bande angegriffen“, sagt sie.
     
    Und dann, wie ein Nachrichtensprecher, der sich krampfhaft um Neutralität bemüht:
     
    „Sie wurde vergewaltigt — und schwer verletzt.“
     
    Jemand zieht mir den PVC-Boden unter den Füßen weg.
     
    Meine Welt wird leer.
     
    Vergewaltigt. Ich versuche das Echo dieses Wortes aus meinem Kopf zu kriegen, aber es wird nicht leiser, sondern lauter. So laut, dass mir schwindelig wird.
     
    Ich spüre Tränen auf meinem Gesicht. Sonst ist alles taub.
     
    Sinas Mutter und ich sehen uns in die Augen — mit unbewegten Mienen und zerstörten Leben.
     
    Wie durch Watte höre ich Worte wie „Polizei“ und „Gleitmittel“.
     
    Für Sekunden weigert sich mein Denkapparat, diese Informationen zu verarbeiten. Alles in mir sträubt sich, diese neue Realität als gegeben hinzunehmen.
     
    Nur widerwillig beendet mein Gehirn diesen Streik.
     
    Vergewaltigt. Vergewaltigt. Vergewaltigt.
     
    Sekunden vergehen.
     
    Vergewaltigt.
     
    Kein noch so kleiner Funke Widerstand regt sich jetzt mehr. Ich weiß, dass es stimmt. Und das nicht nur, weil ich Sinas Mutter glaube.
     
    Sina wurde vergewaltigt.
     
    Das war geplant, die sind schon eingefettet losgegangen, sagt mir der Teil meines Hirns, der den Schock als erstes verkraftet hat. Die letzte rationale Bastion zwischen meinen Ohren erkennt die Verbindung.
     
    Halil und seine Leute — das war die Rache. Nicht die paar lumpigen Tritte gegen meine Rippen.
     
    Als ich zusammengetreten wurde, war die Vergewaltigung der Frau, der ich am nächsten stehe, bereits lang geplant, ja, sie stand schon kurz bevor. Nur deshalb bin ich gestern Abend so glimpflich davongekommen …
     
    Sehe Halils perfekt durchgeführten Plan im Zeitablauf vor mir, als hätte ich ihn selbst ausgearbeitet.
     
    Sina wurde wegen mir vergewaltigt. Ich bin schuld. Niemand sonst.
     
    Jemand schreit!
     
    Sina.
     
    Aus ihrem Krankenzimmer.
     
    Ich stürme an ihrer Mutter vorbei und reiße die Tür auf. Sie hängt am Tropf, die Augen weit aufgerissen, offene Wunden im Gesicht, die Haare wirr. Im Krankenhauslicht erscheint sie grau — als wäre sie um Jahre gealtert.
     
    Der Anblick zerfleischt mich innerlich.
     
    Ein Weißkittel gibt ihr eine Injektion. Auf mich reagiert sie nur, weil die Tür aufgeht: Mit einem einzigen emotionslosen Blick.
     
    Der Arzt zieht die Kanüle aus ihrem Fleisch und schaut mir in die Augen: „Um sie zu beruhigen ist das notwendig.“
     
    Er klingt beschwörend und fast entschuldigend, dann bringt er mich aus dem Zimmer.
     
    Sina würde bald von hier in die Psychatrie verlegt werden, klärt er mich auf, während er sich die Handschuhe auszieht. Sehr bald. Sie sei nicht mehr ansprechbar.
     
    Mehrfach vergewaltigt. Innere Verletzungen. Trauma. Täter

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