Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman
unbekannt.
Einmal darf ich dann doch noch ins Zimmer. Sie hat die Augen fest geschlossen und atmet ruhig. Sie scheint zu schlafen.
Ich knie neben ihrem Bett, nehme ihre Hand und höre mich selbst sagen:
„Ich werde dich rächen. Das schwöre ich.“
Obwohl ich leise spreche, fast murmle, hallen meine Worte durch das kahle Krankenzimmer. Unwirklich und hilflos. Wie Worte eines Kindes, mit dem man Mitleid hat.
Und Sina liegt einfach nur da, wie tot.
7. Taumeln
Die Sonne ist untergegangen. Kaum zu Hause angekommen, ziehe ich die Vorhänge zu und das noch nicht beantwortete Freundschaftsangebot an Elvira bei
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zurück. Die Frage, ob ich mich in der Nacht mit Elvira falsch verhalten habe, ist mit der Vergewaltigung von Sina nicht nur in den Hintergrund gerückt — sie spielt keine Rolle mehr. Nichts spielt mehr eine Rolle.
Mich interessieren nur noch zwei Dinge: Gras und Wodka. Die eine Hand baut einen Joint, die andere schenkt großzügig ein. Oben drauf noch etwas Cranberry-Saft, damit der Drink wenigstens schwach rosa wird.
Ich trinke und rauche wie von Sinnen, will nichts mehr spüren. Alles vergessen. Das Gras ist hochprozentig, der Wodka sowieso. Keine Stunde halte ich durch, bevor komatöser Schlaf den ungleichen Kampf gewinnt.
***
Ich wache auf und sehe Buchstaben. Versuche mir aus Konsonanten den gestrigen Abend zu rekonstruieren — C, V, B, N und M reichen dafür aber einfach nicht. Ich bin mit dem Gesicht auf der Computertastatur eingeschlafen. Später muss ich mich dann auf meine Hose erbrochen haben. Wenigstens nicht auf das Keyboard.
Überall auf dem Boden verstreut liegen leere Thunfischdosen und Wodkaflaschen. Interessante Kombination, die ich jetzt auch auf meiner Hose wiedererkenne.
Sekunden später dämmert mir, dass ich weitaus größere Probleme habe als Unordnung und vollgekotzte Hosen.
Sina!
Obwohl ich mich dagegen wehren möchte, fällt mir alles wieder ein. Mit der Erinnerung bricht erneut alles zusammen, ich sehe dicke Mauern heiler Welt vor mir einstürzen. Schuldgefühle lassen mich nicht atmen. Es ist unerträglich.
Mein Kopfkino läuft auf Hochtouren und stellt die Tat nach. Immer und immer wieder, in immer wieder neuen Varianten. Szenen aus irgendwelchen Pornofilmen verbinden sich mit diesem abartigen Verbrechen, in meinem Hirn entsteht ein grauenerregendes
Snuff-Movie
auf Endlosschleife — mit Sina als Hauptdarstellerin. Wenn ich es nicht bald abstellen kann, bekomme ich heute gar nichts mehr auf die Kette.
Versuche mich auf das Wechseln meiner Hose zu konzentrieren und frühstücke eine Dose Ananas ohne Zucker mit Magerquark, die ich Minuten danach ins Klo kotze.
Mit leerem Blick und leerem Magen, aber immer noch halb betrunken mache ich mich auf den Weg ins Ostend.
***
Mustis Teller-Pupille sieht durch den Uralt-Spion aus wie eine Dartscheibe. Klack, klack, klack. Die dreifach gesicherte Tür öffnet sich. Der Herr des Hauses trägt einen im letzten Badeurlaub geklauten Hilton-Bademantel und Adiletten. Sein Blick ist noch abwesender als sonst. Die Zigarette hält er mit abgespreiztem kleinen Finger — für einen Ticker hat er Stil, das muss man ihm lassen.
„Was machst du hier? Es ist Dienstag. Und früh am Tag. Du siehst scheiße aus.“
„Ich weiß. Hast du was da?“
„Was denn?“
„Egal was.“
Ich kaufe egal was und gehe mit hängendem Kopf nach Hause. Obwohl inzwischen relativ nüchtern, bin ich so durcheinander, dass mir unterwegs ein Päckchen
Special K
aus der Tasche fällt. Erst ein paar Straßen weiter bemerke ich den Verlust, renne den Weg zurück und finde es mitten auf dem Gehweg. Eine Krähe hackt darauf herum, eine kurze Auseinandersetzung um den Beutel geht glücklicherweise zu meinem Vorteil aus.
Auf den Schreck öffne ich daheim erst mal eine Dose
5,0 Original Pils
. Wenn man runterkommen oder seine Sorgen vergessen will, ist Bier immer noch die beste Wahl. Es lässt zwar Männern Titten wachsen, aber die beruhigende Wirkung von Hopfen und Malz ist unerreicht.
Ich dröhne mich mit noch viel mehr Bier,
Special K
und deutschem Schlager zu. Heile Welt will ich, verdammte Scheiße, ganz weit weg. Eine Welt ohne Vergewaltigungen, Rache und Schuld.
Manchmal brauche ich einfach dieses spezielle Feeling, das nur Musik in der Muttersprache transportieren kann. Eine ganz bestimmte Ansprache — wie die von Heino zum
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