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Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Titel: Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kolja Alexander Bonke
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Mini-Tampons kommen mir entgegen. Keines dieser Dinge kommt mir wirklich bekannt vor. Dann finde ich eine Old-School-Rasierklinge aus Großvaters Zeiten, aber immer noch richtig scharf. Durch den Halswirbel-Orgasmus zittere ich immer noch wie ein nasser Chihuahua, ich lasse das Ding mehrmals fallen und schaffe es kaum, es vom Boden aufzuheben.
     
    ♫
„Razor blades are hard to hold …”
    (Hot Water Music — Driving Home)
     
    Bevor ich als Kind das erste Mal mit so einer Klinge gespielt hatte, kannte ich solche Dinger nur von irgendwelchen Schallplatten. Faszinierend, diese zackige Form, für mich ein Symbol des
Punkrock
. Schon damals hatte ich jede Menge depressive und suizidale Tendenzen und das nicht nur, weil ich eine Menge
Suicidal Tendencies
hörte. Ich hatte Probleme wegen diverser sozialer Schwächen: Ein träumendes Einzelkind, zu viel mit sich selbst beschäftigt, das erst spät zu laufen begonnen hatte und manche
Social Skills
schmerzhaft nachlernen musste. Meine Kindheit verlief nicht allzu glatt. Viele störten sich an mir, aus Cliquen flog ich regelmäßig raus und in sehr jungen Jahren gab ich sogar hin und wieder das Mobbing-Opfer — bis hin zu Schmäh-Graffiti mit meinem Namen. Regelmäßig was auf die Mütze gab es auch, was mich härter, aber auch seltsamer machte. Und es verstärkte meine Vorliebe für Rasierklingen …
     
    ♫
„… The river runs red and I think I'm dyin’
    Well I knew there’d come a day
    When my mind would say hey are you afraid
    Well all I know is that I been down here tryin’”
    (Life Of Agony — River Runs Red)
     
    Das Blut fließt, erst schwach, dann immer stärker. Seltsam fühlt sich das an, aber ganz gut, jedenfalls am Anfang. Dann sehr bald nicht mehr. Fluchend werfe ich die Klinge in die Badewanne und presse meine Hand auf die Wunde. Zwischen meinen Fingern quillt es dunkel und dickflüssig hervor.
     
    Räudiger, unbändiger Hass bricht aus mir heraus wie das Blut aus meinem Arm. Ich kotze angestaute Gefühle der letzten Wochen, brülle mit zusammengepressten Zähnen wie ein Tier. Ein Stück Zahn bricht, flutscht mir in den Hals und wird mit dem nächsten Schrei wieder ausgespuckt.
     
    Mit diesem Aderlass scheint etwas erwacht zu sein. Ein Wille, der sich nicht stoppen lassen wird. Da sage noch einer, die Viersäftelehre und der Aderlass wären Quatsch.
     
    Renne tropfend ins Wohnzimmer, trete die Musik aus und greife mit wutverzerrter Fratze nach ganzen Armeen von Wodka-, Wein und Ginflaschen, die auf dem Tisch wie Soldaten aufgereiht sind. Ohrenbetäubendes Klirren zerreißt die Stille, bei jedem Wurf schießt das Blut halbkreisförmige Kunstwerke an meine Wände. Glassplitter und verschiedenfarbige Alkoholika spritzen durch die Luft, Rotwein sprenkelt weiße Decken, auf dem Boden mischt sich Gin und Blut. Ein Schwall Wodka brennt sich in meine Augen und ich trete barfuß in Scherben. Halb blind gehe ich wie in einem Boxkampf zu Boden und bleibe liegen, atme und blute lautlos vor mich hin.
     
    Langsam beruhigt sich meine Welt.
     

8. Vorbereitung
     
    Totenstille liegt über meiner zerstörten Wohnung, irgendwie genieße ich diese Ruhe nach dem Sturm. Nur wenn ich mich bewege knirscht es unter mir.
     
    Es ist nicht vorbei, noch nicht.
     
    ♫
„I’m not wasting my life, my life is wasting me”
    (Neglect — Dig It)
     
    Statt mein Leben vorschnell zu beenden, werde ich es lieber sinnvoll einsetzen.
     
    Vorher steht allerdings Handarbeit auf dem Programm. Mein linker Unterarm und mein rechter Fuß müssen genäht werden.
    Das letzte Nähen am linken Unterarm ist nicht lange her, die Narbe dort ist noch recht frisch. Obwohl es mir vorkommt, als wären seit der nächtlichen Begegnung mit Halil und seinen Leuten Monate vergangen. So viel ist seitdem passiert …
     
    Dieses Mal ist der Schnitt deutlich tiefer als damals. Die Blutung lässt sich heute trotzdem einfacher stoppen, weil ich nicht bis obenhin mit
Aspirin
vollgestopft bin.
     
    Sich selbst zu nähen hat eine ganz eigene Faszination, ebenso wie sich etwas herauszuschneiden. Nicht nur für Jungs, die als Kind
Rambo
geliebt haben, der sich bekanntlich ganz gerne Körperteile zusammenflickt oder Wunden mit Schießpulver ausbrennt.
     
    Mein besonderes Verhältnis zu Schmerzen wurde mir spätestens nach einer Sommernacht in Gesellschaft einer nicht unattraktiven Bekannten klar. In einem Schwulenclub wurde damals feucht und fröhlich das Wochenende eingeläutet.
     
    Den Alkohol hatte ich

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