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Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Titel: Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kolja Alexander Bonke
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selbst. Van Damme beim Palmentreten in
Karate Tiger 3
fällt mir ein, der an seinen kaputten Bruder erinnert wird und danach Kleinholz aus dem Tropenpflänzchen macht …
     
    Mit purer Verzweiflung, letzter Kraft und roher Gewalt reiße ich im Liegen meinen Kopf nach links, so dass das Ohr unter dreimaligem Knacken der Wirbel auf die Schulter klatscht und mein Kopf von dort wie ein Flummi zurückfedert, so dass er im Gegenzug auch auf die rechte Schulter knallt. Dort knackt es vier Mal, ein Orgasmus in der Halswirbelsäule würde sich genau so anfühlen, da bin ich mir sicher. Eine tonnenschwere Last fällt von mir ab, mein Nacken ist frei, endlich frei! Mein Körper wird von Schockwellen durchflutet, ein Brennen in den Nerven, wie ein elektrischer Schlag aus der Steckdose, ausgehend vom Nacken, den ich sekundenlang bis in Hände, Finger und Fußspitzen spüre. Wie bei einem epileptischen Anfall oder einem Breakdance-Wettbewerb spaste ich auf dem Boden herum. Es fühlt sich an wie mein eigener Todeskampf. Dann werde ich ruhiger, zittere nur noch, atme stoßweise, halte die Augen geschlossen und frage mich ernsthaft, ob ich mir den Hals gebrochen habe und nun endlich tot bin.
     
    Anscheinend nicht — aus dem Wohnzimmer dringt leise Musik.
     
    ♫
„I’m dying I’m trying I’m crying
    ‘Cause I ain’t got nothing so
    Don’t bother trying to stop me
    I’m drowning in my own self pity so
    (Life Of Agony — Drowning)
     
    Life Of Agony
— der Name ist Programm. So ziemlich das depressivste Stück Rockgeschichte, das ich kenne. Höre
Life Of Agony
zum Aufstehen und du bleibst liegen. Höre
Life Of Agony
zum Einschlafen und du willst nie wieder aufwachen. Das erste Album für Götter, das letzte — „
Broken Valley“
— für die Tonne. Der Herr am Mikro mit der unvergleichlichen Stimme, Keith Caputo, ist übrigens mittlerweile eine Frau und trägt ganz gerne Strapse. Erklärt vielleicht Teile seiner schweren Depressionen, unter denen er stets litt und die den Sound der Band so eindrucksvoll prägten. Wie dem auch sei, um solch ein Coming-out in der
Hardcore
- und
Metal
-Szene durchzuziehen braucht es ganz schön Eier. Auf der anderen Seite verleiht die Transsexualität von Keith Caputo Songtiteln wie
„River Runs Red“
einen ganz neuen Sinn …
     
    Peter Steele von
Type O Negative
und Keith Caputo von
Life Of Agony
— meine Lieblingssänger, seit ich sie das erste Mal gehört habe. Da der eine nun tot und der andere eine Frau ist, sollte ich mir wohl wirklich neue Vorbilder suchen. Oder es mit den Vorbildern ganz sein lassen.
     
    ♫
„I got the razor at my wrist
    ‘Cause I can’t resist
    I’ve got this fever burnin’ fist
    That does as I wish …”
    (Life Of Agony — River Runs Red)
     
    Auf dem Badezimmerboden liegt ein uraltes
Type O Negative
Shirt herum:
„Express Yourself — Just Say Yes”
steht da hinten drauf, dazu sind vier Möglichkeiten abgebildet, wie man seinem kümmerlichen Leben ein Ende bereiten kann: Tabletten, Strick, Knarre und Rasierklinge.
     
    Type O Negative
und
Life Of Agony
— Bruderbands aus der gleichen netten Nachbarschaft in New York. Eine weitere Gemeinsamkeit: Wirklich lebensbejahend sind beide nicht gerade, wie mir immer wieder auffällt …
     
    Anfang der Neunziger wurde meine Pubertät komplett von Leuten aus Brooklyn vertont. Innerhalb eines Jahres erschienen damals
„Bloody Kisses“
von
Type O Negative
,
„River Runs Red“
von
Life Of Agony
und
„Thanks Fer Nuthin’“
von
Sheer Terror
. Mehr brauchte es nicht für Herzschmerz und Liebeskummer, Aknedepressionen und Selbstmordphantasien.
     
    Was für Gegensätze: Gegerbt von Straßenkriminalität und Großstadtmoloch erzeugten harte Typen aus Vierteln mit brennenden Mülltonnen auf diesen Platten große Gefühle und Romantik pur. Besonders eindrucksvoll im Falle von
Sheer Terror
: Bärbeißige, biertrinkende, assig tätowierte Skinheads und Langhaarige aus der Gosse, aber einen Rosenstrauß auf dem Cover von
„Thanks Fer Nuthin’“
und todtraurige Texte über das Verhältnis zum schönen Geschlecht.
     
    ♫
„There were times you tried to put me in my place
    I don’t know if I wanted to kiss you
    Or spit right in your face”
    (Sheer Terror — Three Year Bitch)
     
    Damals lernte ich, dass sich alles um Frauen dreht — und dass das mit 33 noch genau so sein würde wie mit 13.
     
    Ich krame in einem Regal, das ich vom Boden aus erreichen kann. Wattestäbchen, eine Nagelschere und

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