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Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Titel: Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kolja Alexander Bonke
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bitter nötig, um Zahnschmerzen zu betäuben. Links unten pochte es, obwohl ich vor wenigen Wochen brav beim Zahnarzt gewesen war. Eine Weile hatte ich diese Schmerzen ignoriert: Es kann nicht sein, was nicht sein darf — schließlich wurde neulich erst gebohrt und mir ein Stück Zahn entfernt.
     
    Die Schmerzen waren allerdings nicht das einzige orale Problem. Seit Tagen hatte ich einen komischen Geschmack im Mund. Irgendwie abgestanden, fast schon faulig, auch nach dem Zähneputzen. Ich bildete mir ein, aus dem Mund zu riechen.
     
    Kurz: Ich stand auf Kriegsfuß mit meiner Fressluke.
     
    Im trauten Zwiegespräch mit meiner Begleitung achtete ich stets darauf, nicht in ihre Richtung auszuatmen oder zu sprechen. Ebenso als wir mit einem schwulen Bekannten auf die Straße gingen, um ein Näschen zu ziehen. Fast hätte ich mit meiner verkrampften Atmung das weiße Gold in alle Himmelsrichtungen geblasen. Koks tat gut, es linderte die Schmerzen mindestens so gut wie Wodka.
     
    Morgens um 8 Uhr war ich es trotzdem leid: Ich beschloss, mich direkt nach dem Clubbesuch in die Obhut meines Zahnarztes zu begeben.
     
    Er begrüßte mich freundlich, setzte sich seinen Mundschutz auf und sagte:
     
    „Machen Se mal ah.“
     
    Ich machte ah, er schaute hinein.
     
    Sein gesamter Oberkörper zuckte zusammen, seine Augen poppten mir entgegen und er wich zurück. Auch die Arzthelferin machte einen Schritt nach hinten.
     
    „Uiuiui.“
     
    Uiuiui?
     
    „Wasn los, Herr Doktor?“
     
    Die „Herr Doktor“-Anrede liebe ich — alte Schule und so schlecht, dass sie schon wieder gut ist.
     
    „Uiuiuiuiuiui.“
     
    Dank Koks und Wodka war ich immer noch ausgezeichnet drauf. Sorgen machte ich mir keine. Mit Zahnärzten und Schmerzen habe ich kein Problem, ich war einfach nur neugierig:
     
    „Was heißt denn uiuiuiuiui?“
     
    „Ich will ehrlich mit Ihnen sein. So etwas habe ich noch nie gesehen. Es war allerhöchste Zeit, dass Sie hergekommen sind. Und ich warne Sie schon mal: Das wird nachher wehtun.“
     
    Ich schaute ihn weiter fragend an.
     
    „Ihr ganzer Kiefer ist vereitert. Das müssen wir röntgen, dann muss die Entzündung raus und dann bekommen Sie Antibiotika.“
     
    Okay, dachte ich, ist doch halb so schlimm.
     
    „Und wie kann sowas passieren?“
     
    Wissbegierig und interessiert wie ein Erstsemester im Medizinstudium klang meine Frage. Ein bisschen so, als würde es hier nicht um meinen eigenen Kiefer gehen …
     
    „Sie haben sich in die kleine Lücke, die ich Ihnen vor drei Wochen verpassen musste, wahrscheinlich schon kurz nach der Operation etwas eingebissen. Sieht aus wie ein Stück Schnitzel Wiener Art. Damit konnte ich nicht rechnen, aber ich muss es auf meine Kappe nehmen. Jedenfalls hat dieses Stück in der letzten Zeit mit Ihrem Zahnfleisch eine unheilvolle Allianz gebildet. Wildes Fleisch ist in Ihrem Mund gewuchert, Ihr ganzer Kiefer ist total entzündet. Noch ein paar Tage und es wäre richtig gefährlich geworden …“
     
    Immer wenn etwas zu absurd, eklig oder abartig ist, muss ich grinsen. Nur mühsam konnte ich es während des Röntgens abstellen. Die Zahnarzthelferin behandelte mich, als würde sie einen Außerirdischen durchleuchten — was mich noch mehr grinsen ließ. Ich freute mich schon darauf, diese Geschichte jemandem zu erzählen …
     
    Erst als der Herr Doktor mit einem Werkzeug anrückte, das wie ein kleiner, scharfer Enterhaken aus blitzendem Chirurgenstahl aussah, verging es mir ein bisschen. Vielleicht lag es aber auch an den salbungsvollen Worten, die er für mich hatte:
     
    „Die Entzündung muss ich Ihnen jetzt leider, leider ausschaben. Sie haben die Wahl: Mit oder ohne Betäubung. Wird aber aufs Gleiche rauskommen, sage ich Ihnen. Die Betäubungsspritze können wir im Prinzip vergessen, ich würde Ihnen die Ladung in den puren Eiter schießen. Und das bringt gar nix!“
     
    Schluck.
     
    „Äh, gut, klar, dann ohne.“
     
    „Okay. Das wird jetzt richtig, richtig wehtun. Sind Sie bereit?“
     
    Mir gefiel nicht, wie er plötzlich bestimmte Füllwörter wiederholte. Für meine Begriffe eine Spur zu dramatisch.
     
    „Äh … ja.“
     
    Mit der linken Hand hielt er meinen Kopf fest, mit dem Enterhaken in der rechten fing er langsam an, mir ein Potpourri aus wildem und gesundem Zahnfleisch, Eiter und Schweineschnitzel aus der Backe zu kratzen.
     
    Schon die erste Berührung des kalten Stahls mit der Entzündung machte keine Lust auf mehr. Als das

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