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Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Titel: Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kolja Alexander Bonke
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nicht mehr weiter verdrängen. Ich bleibe stehen und starre auf den Main, der sich in dieser Nacht wild und reißend gibt.
     
    Heute Nachmittag habe ich mit Sinas Mutter telefoniert. Mit kaum hörbarer Stimme teilte sie mir mit, dass ihre Tochter mittlerweile in die Psychatrie verlegt worden sei. Ich würde sie bald besuchen, meinte ich und dachte währenddessen an Selbstmord. Wie so oft in letzter Zeit — und so wie jetzt. Der Main sieht verlockend aus, das Wasser ist nachts um diese Jahreszeit bereits sehr kalt, den Sprung vom Eisernen Steg hat noch kaum jemand überlebt.
     
    Kurzes Zaudern, dann kneife ich und laufe tränenüberströmt nach Hause. Meine Welt bleibt grau.
     
    ***
     
    Ich wache auf mit Todessehnsucht.
     
    Sina wurde in meinen Träumen von letzter Nacht tausendfach vergewaltigt und gequält, von Hunderten von Männern. Und ich schaue zu.
     
    Ich fühle mich schuldig, kann nicht mehr, halte es nicht mehr aus.
     
    Um diese Bilder und Filme abzustellen, suche ich krampfhaft nach Alternativen, über die ich nachdenken kann. Meistens fällt mir dann Elvira ein. Ich kann mich immer noch an nichts erinnern, was in der Nacht mit ihr passiert ist. Meine Erinnerung endet wie gehabt in der
Pik Dame
und beginnt erst wieder bei Nadja im Bett. Alles was ich im Kopf habe, sind diese beiden dunklen, unscharfen Schnappschüsse vom Sex dieser Nacht — höchstwahrscheinlich mit Elvira. Mehr nicht. Kümmert mich aber längst nicht mehr. Ich war das nicht und es gab keine Vergewaltigung in dieser Nacht, basta! Ich vergewaltige keine Frauen. Aber diese Schweine, die tun das — Sina, die wurde vergewaltigt, verdammt!
     
    Bilder und Filme, schon wieder. Sie kommen und ziehen vorbei wie Gewitter. Unwetter in meinem Kopf, mit unglaublicher Wucht, so dass mir fast der Schädel platzt.
     
    Ich wanke ins Bad, kann vor Kopfschmerzen kaum aufrecht gehen. Zu verdanken habe ich die meinem zwanghaften Kopfkino, das ausschließlich perverse Gewaltpornos zeigt, einer Flasche
Grasovka
zum Einschlafen und einem verkanteten Wirbel im Nacken. Ich muss in letzter Zeit vergessen haben, mit dem Hals zu knacken.
     
    Was ich im Spiegel sehe, ist erschreckend.
     
    „Das darf doch nicht …“
     
    Meine Augen sind nicht mehr rot, in meinen Augen steht das Blut. Dazu Tränensäcke wie Horst Tappert und Augenringe wie ein Pandabär. Man könnte auch meinen, ich hätte zur Feier des Tages total übertriebene
Smokey Eyes
aufgelegt — schlimmer als Bill Kaulitz, bevor er Bartträger wurde. Drumherum haben sich einige Narben von Hauereien und Stürzen angesammelt — erinnern kann ich mich an die wenigsten davon. Außerdem scheint etwas passiert zu sein, was ich immer vermeiden wollte: Man sieht mir die Chemie und den Alkohol an. Kein Wunder, dass es mit fremden Mädels nicht mehr wie von selbst läuft. Abgesehen davon, dass wenn es dann mal läuft, bei mir nichts läuft.
     
    Ich muss diese rasenden Kopfschmerzen, diese Blockade im Nacken loswerden. Versuche mich zu lockern, meine morschen Knochen auszuschütteln und stelle mich aufrecht vor den Spiegel — zur Kontrolle, aus Sicherheitsgründen. Beim Knacken der Halswirbelsäule die Hände zu benutzen ist nämlich nicht ganz ungefährlich: Wenn die Wirbel so aussichtslos verkantet sind, müssen sie mit Kraft ruckartig wieder eingerenkt werden. Das bin ich überhaupt nicht gewohnt, normalerweise lasse ich meine Wirbel ganz sanft und auf natürliche Weise wieder einrasten — gesundheitsbewusst und vorsichtig, wie es meine Art ist, reicht bei mir im Normalfall schon einfaches Neigen des Kopfes …
     
    X Versuche und es klappt nicht, ich werde fast verrückt dabei. Ich ziehe meinen Kopf zur Seite, der Hals ist mittlerweile schon sehr unbeweglich, aber die Blockade löst sich nicht. Nicht knacken zu können ist wie nicht niesen zu können, nur viel, viel schlimmer. Reine Folter. Eine Qual, als würde man die Last der Welt im Nacken spüren. Ich reiße meinen Kopf hin und her, abwechselnd in beide Richtungen — fast wie
Headbanging
, nur seitwärts. Fange buchstäblich an durchzudrehen — um die eigene Achse.
     
    Vier oder fünf weitere Versuche. Jeder einzelne fühlt sich an, als würde mir die Rübe wegfliegen. Ich gebe auf und sinke mit Tränen in den Augen auf den Badezimmerboden. Es geht einfach nicht, ich brauche Hilfe, muss zum Orthopäden.
    Ich denke an Sina und stelle mir die Klapse vor, in der sie jetzt liegt. In meine Verzweiflung mischt sich Wut. Hass. Hass auf mich

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