Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman
eigentlich was du da redest?!“
Wutschnaubend entzog ich mich der Situation und rannte auf dem Weg zur Toilette drei oder vier Omas über den Haufen. Souveränität geht anders.
Ich ließ Wasser, aber der Druck wurde nicht kleiner. Ich wollte sofort nach Hause. Zum Teufel mit Hirschhausen.
„Gib mir meine Marke!“
Sie hatte unsere beiden Garderobenmarken und weigerte sich, meine rauszurücken. In diesem Moment habe ich mir geschworen, meine Marke niemals wieder einer Frau zu überlassen. Nur wenn das Ding in der eigenen Tasche ist, hat man die Freiheit zu gehen, wenn man keine Lust mehr hat.
♫
„Freiheit, Freiheit
ist das Einzige, das zählt!“
(Westernhagen — Freiheit)
Der Gong ertönte, die Pause war vorbei. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr bei Fuß auf unsere Plätze zu folgen. Erst als wir wieder aussichtslos eingepfercht zwischen Dutzenden Hirschhausen-Fans im Rentenalter saßen, die mich für erneutes Aufstehen mit Rotnasen und anderem Merchandise gesteinigt hätten, hielt sie mir gönnerhaft beide Marken hin.
„Ich weiß nicht, wem welche gehört, aber du kannst ja deinen Mantel holen und mir meine Marke wiederbringen.“
Nein danke, meinen Tod habe ich mir anders vorgestellt, dachte ich. Im Kampf mit einem Bären wie Brad Pitt in
Legenden der Leidenschaft
, damit könnte ich mich anfreunden, aber sicher nicht in einer Auseinandersetzung mit militanten Rentnern.
Natürlich wusste sie das ganz genau. Wahrscheinlich konnte sie sogar meine Gedanken lesen, so berechenbar war ich für sie geworden. Erwartungsgemäß blieb ich schmollend sitzen.
Es folgten drei oder vier Annäherungsversuche von ihr, die ich abwies. Ich vermied jeden Körperkontakt. Von der Dame neben mir auf der anderen Seite musste ich mich allerdings auch fernhalten — die Arme hielt sich die gesamte zweite Hälfte die Nase zu, weil ich nach Wein stank wie ein Bahnhofspenner.
Unter diesen Umständen war
Liebesbeweise
nur noch halb so witzig. Doktor Lustig wedelte mit Gymnastikbändern herum und das Publikum flippte auch bei den ältesten Gags völlig aus. Ich war zu keinem einzigen Lacher mehr fähig, dafür aber zu jeder Menge Amokphantasien und Mordgelüsten. Ich stellte mir vor, wie ein Wahnsinniger vom Balkon ins Publikum zu springen, Kleinholz aus den Bänken zu machen und mich bis zu Hirschhausen vorzukämpfen, um ihn dann mit seinen Gymnastikbändern zu erwürgen.
Eigentlich schade, vor diesem Abend hatte ich ihn wirklich gemocht.
Stunden später nahm ich innerlich jubilierend seine Verabschiedung zur Kenntnis. Gerade als ich aufspringen wollte, stürmte er erneut die Bühne und stimmte gemeinsam mit dem Publikum
All You Need Is Love
an. Die
Beatles
waren wirklich noch nie mein Fall. Der promovierte Entertainer animierte die Massen zum Aufstehen und Tanzen, mir blieb an diesem Abend nichts erspart. Ein Rollstuhlfahrer und ich waren die einzigen, die mit verschränkten Armen und schlechter Laune sitzen blieben und haufenweise Rentnerärsche vor der Nase hatten.
Dann war alles vorbei. Ich ignorierte ihre Versuche, zum Abschluss gut Wetter zu machen. Wir schoben uns wortlos durch die Menschenmenge zur Garderobe und bekamen unsere Mäntel in die Hand gedrückt. Ich zog mich im Gehen an und verließ ohne sie eines Blickes zu würdigen oder mich auch nur ein einziges Mal umzudrehen die Alte Oper — stets darauf achtend, dass der Abgang von hinten möglichst cool und würdevoll aussah.
Auf dem Heimweg gingen zwei pathetisch formulierte SMS mit Entschuldigungen und ein Anruf ein. Beantwortet wurde nichts davon. Daheim löschte ich sie bei
Facebook
, fühlte mich erleichtert und trank zwei Flaschen Weißwein, bis ich einschlief.
♫
„Du tust mir nicht mehr weh“
(Elif — Nichts Tut Für Immer Weh)
Im Prinzip war ich ihr dankbar. Sie hatte mir ermöglicht, mich zu befreien. Das Spielzeug wagte es nun endlich, sich zu emanzipieren. Lange genug hatte ich mich zum Gemüse gemacht. Ich beendete mein Sklavendasein und meine Abhängigkeit von ihr und zwang mich dazu, mir den Streik meines wichtigsten Körperteils nicht mehr länger gefallen zu lassen. Seit diesem Moment befinde ich mich im Krieg, einem Krieg mit meinem Penis. Die Verluste und Kollateralschäden auf beiden Seiten sind längst nicht mehr zu beziffern.
Auf dem Eisernen Steg vergesse ich die alten Geschichten und den Konflikt mit meinem Geschlechtsteil. Sina lässt sich einfach
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