Filmriss
sich was wünschen und etwas wissen liegt ein Riesenunterschied. Vor dem Bus küssen wir uns dann noch mal, und er streichelt mein Gesicht mit diesen Händen, die immer so aussehen, als würden sie etwas ungeheuer Kostbares berühren.
»Du bist ganz anders als sie«, flüstert er und guckt mich so verliebt an, dass ich ihm auf der Stelle alles glauben würde. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob das nun ein Kompliment war oder nicht. Natürlich bin ich nicht wie Frieda. Frieda ist total schräg, äußerlich und innerlich. Neben ihr fühl ich mich immer so langweilig. Und was soll daran besser sein?
»Sie ist doch total hübsch«, wende ich ein.
Marlon lächelt, wir stehen uns noch immer gegenüber. Unsere Gesichter sind ganz nah beieinander.
»Aber du bist total süß. Außerdem bin ich mir bei dir siche r …« Er sucht nach den richtigen Worten.
»Ja?«
» … dass ich mich immer auf dich verlassen kann.«
»Oh, das klingt ja spannend.« Ich wende mich etwas ab und tue so, als wäre ich gekränkt.
»So mein ich das doch nicht, Birte! Bei Frieda weiß man nie, woran man ist. Heute ist man für sie der Märchenprinz, morgen der totale Hänger.«
Als wir losgehen, nimmt Marlon meine Hand. »Wenn man mit dem Boot unterwegs ist«, sagt er plötzlich, »dann ist es wichtig, etwas zu haben, auf das man sich hundertprozentig verlassen kann.«
»Zum Beispiel?«
»Etwas zur Orientierung.«
Wir setzen uns auf eine Bank. Marlon schaut mich an und hält meinen Blick fest.
»Einen Kompass?«, schlage ich vor.
Er nickt. »Und die Sterne. Auf die kann man sich immer und überall verlassen. Sie sind das Wichtigste überhaupt, verstehst du?«
»Ja«, sage ich leise, »ich verstehe.«
Zentimeter um Zentimeter bewegen sich unsere Gesichter aufeinander zu, wie zwei Magneten mit verschiedenen Polen. Unsere Lippen berühren sich.
»Das Wichtigste überhaupt«, flüstert er noch einmal in mein Ohr. »Das ist es, was ich meine.«
Langsam gehen wir weiter, vorsichtig legt er seinen Arm um mich. Meine Zweifel sind verflogen und ich fühle mich leicht.
»So«, sage ich schließlich. »Jetzt ist aber der Schlüssel dran, sonst schaffen wir das nicht mehr rechtzeitig. Dafür sind wir ja schließlich in die Stadt gefahren.«
»Aber danach«, sagt Marlon, »stell ich dir noch zwei von meinen besten Freunden vor.«
»Wen denn?«, frage ich überrascht.
»Da kommst du nie drauf.«
»Okay, ich bin neugierig . – Marlon?«
»Ja?«
»Versprichst du mir, dass du mit Frieda Schluss machst? Du musst ihr klipp und klar sagen, dass es aus ist. Immerhin ist sie auch meine Freundin.«
»Versprochen«, sagt er.
2
»Um zehn Uhr bist du zu Hause.«
Ich höre nur seine Stimme. Sehen kann ich ihn nicht, denn er räumt in der Küche den Geschirrspüler ein, während ich im Flur meine Jacke anziehe.
»Ich bin fünfzehn!«, rufe ich. Nervigerweise krächzt meine Stimme. Eine Erkältung wäre jetzt echt daneben, schließlich will ich Marlon nicht gleich am ersten Abend anstecken oder schlimmer noch: ihn auf Abstand halten müssen.
»Eben deshalb. Du bist fünfzehn.«
Er betont mein Alter, als sei es eine Krankheit, mit der man nach zehn nicht mehr unterwegs sein darf. Er steht jetzt im Türrahmen.
»Keine Chance«, sage ich. »Nicht vor zwölf, und das ist schon früh. Morgen ist Samstag, und mit fünfzehn ist man kein Baby mehr.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, knalle ich die Tür hinter mir ins Schloss, dass es kracht. Das ganze Haus scheint zu wackeln. Schon im nächsten Moment tut es mir leid.
Ich mag meinen Vater, keine Frage, sehr sogar, aber manchmal geht er mir total auf die Nerven. Er hat immer Angst um mich und behandelt mich wie ein kleines Kind. Aber es ist mein Leben, das muss er endlich kapieren. Auch wenn er nur mich hat: So geht das einfach nicht! Die anderen lachen sich schlapp, wenn ich sage, dass ich um zehn nach Hause muss. Und Frieda lacht mit Sicherheit am lautesten.
Dabei hat der Abend mit meinem Vater ganz gut angefangen. Mit stolzgeschwellter Brust hat er mir verkündet, dass er gute Chancen habe, demnächst ganzjährig bei der Gemeinde angestellt zu werden. Da er bisher immer nur während der Touristensaison gearbeitet hat, wäre eine volle Stelle genau die Verbesserung, auf die er schon lange wartet.
Wir leben allein in einem kleinen Haus direkt am Deich. Im Sommer geht es meinem Vater am besten, weil er dann viel um die Ohren hat. Im Winter, wenn er arbeitslos ist, konzentriert er sich zu sehr auf meine
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