Filmriss
opfern, sich aber nicht gerade wohl dabei fühlt. Marlon schiebt ihn lässig zur Seite.
»Lass mal.« Und zu Karsten sagt er: »Bei mir gibt’s allerdings keine halben Sachen.« Er wartet, bis auch wirklich jeder zuhört. »Also ein Liter. Schließlich will ich auch was merken.«
Ich weiß nicht, warum er so angibt. Für mich brauchte er es nicht, das schwör ich.
»Das ist zu viel«, meint Karsten. »Man muss erst üben, bis man die Technik draufhat. Die meisten schaffen am Anfang nicht mal einen halben.«
Unbeirrt zieht Marlon zwei Flaschen aus der Kiste, öffnet sie mit dem Feuerzeug und reicht sie an Benny weiter. Der kippt sie wortlos in den Trichter. Benny steigt auf die Bank. Es scheint, als würden die beiden das jeden Tag machen, wie ein eingespieltes Team. Sie stehlen Karsten komplett die Show. Plötzlich ist auch Frieda da.
»Na, doch neugierig geworden?«
Sie überhört meine Frage, lächelt Marlon an, hat nur Augen für ihn. Vielleicht macht er das alles hier ja nur für Frieda. Dieser Gedanke versetzt mir einen Stich, ich verscheuche ihn sofort und beobachte weiter das Geschehen. Marlon will auf keinen Fall zeigen, wie sehr er sich konzentriert, aber ich sehe es ihm deutlich an. Er tut so locker wie möglich. Dann öffnet er den Schlauc h …
Friedas Tagebuch
Steve hatte ich schon ewig nicht mehr gesehen. Früher war er mit seinen Eltern öfter bei uns zu Besuch, ich musste dann immer auf ihn aufpassen. Als ich nach Hause kam, saß er bei uns in der Küche und grinste mich an wie ein Honigkuchenpferd. Steve ist mein Cousin.
»Ich wohn jetzt bei euch!«
»So? Das kommt aber plötzlich . – Hallo erst mal.«
»Hallo, Frieda.«
Er sprang auf, umarmte mich und ich freute mich echt, ihn wiederzusehen. Steve ist geistig ein bisschen zurückgeblieben, obwohl man es ihm auf den ersten Blick kaum ansieht. Erst wenn man mit ihm redet, merkt man, dass er nicht so ist wie andere Vierzehnjährige. Er trägt eine Brille und kriegt sofort rote Flecken im Gesicht, wenn er aufgeregt is t – wie bei unserer Begrüßung.
»Ilona hatte einen Kreislaufzusammenbruch«, sagte Mum. Sie stand am Herd und haute tiefgefrorene Kartoffelpuffer in die Pfanne. »Sie liegt im Krankenhaus.«
»Wie geht es ihr?«
»Den Umständen entsprechend gut. Aber sie wird dort noch zu einigen Untersuchungen bleiben. Jedenfalls mussten wir für Steve ganz schnell eine Lösung finden.«
»Na ja, solange ich dich nicht wieder ans Bein gebunden kriege wie früher.« Ich zwinkerte Steve zu. Seine Augenlider hinter der Brille flatterten etwas, diesen Tick kenne ich noch aus unserer Kinderzeit.
»Das wird sich kaum vermeiden lassen.« Mum lächelte.
12
Frieda ist ziemlich oft genervt, aber so genervt wie heute hab ich sie noch nie gesehen. Der Grund dafür ist nicht schwer zu erraten. Er läuft hinter ihr her und heißt Steve. Steve ist vierzehn, sieht aus wie elf und ist ihr Cousin.
»Er hat sich für ein paar Monate bei uns eingenistet«, stöhnt sie und lässt sich der Länge nach aufs Sofa fallen. »Seine Mutter geht erst ins Krankenhaus und anschließend sechs Wochen zur Kur.«
»Hat er keinen Vater?«, frage ich.
»Der hat keine Zeit für ihn. Geschieden. Arbeitet irgendwo in Afrika als Ingenieur. So weit weg wie möglich.«
Benny köpft eine Flasche Bier und reicht sie weiter an Steve.
»Hier, kleiner Willkommensschluck.«
Steve strahlt über beide Ohren. Er greift zu, nuckelt mehr am Flaschenhals rum, als dass er richtig trinken würde. Das ist garantiert der erste Schluck Bier seines Lebens. Man sieht, dass er ihn am liebsten sofort wieder ausspucken würde, sich aber gerade noch zusammenreißen kann.
»Wir können uns ja ein bisschen seiner annehmen. Den kriegen wir schon hin.« Karsten grinst. »Wenn du den Rest aus der Pulle in einem Zug schaffst«, sagt er dann zu Steve, »zeig ich dir was Schönes. Zur Belohnung.«
Er redet mit ihm, als sei er der Weihnachtsmann und Steve das Kleinkind.
Der Arme lächelt nur vertrauensvoll zurück. Dann setzt er die Flasche an. Das Trinken kostet ihn ganz offensichtlich irrsinnige Überwindung, sein Gesicht platzt fast und er braucht bestimmt eine Minute. Aber er nimmt die Flasche erst vom Mund, als sie ratzeputze leer ist. Tapfer ist er, das muss man ihm lassen. Stolz grinst er Karsten an, wartet auf die versprochene Belohnung.
»Na, dann komm mal mit raus.«
Genau das hab ich befürchtet. »Das machst du nicht.« Ich stelle mich den beiden in den Weg. »Das ist ein paar
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