Filmwissen
Mann zu verkörpern, doch mehr als die körperliche, wird ja auch die seelische Gefangenschaft behandelt: Dantès hat das physische Gefängnis mit dem Gefängnis seiner Rachsucht vertauscht. Er, der ein perfides Spiel mit seinen Peinigern zu spielen glaubt, ist selbst ein hoffnungslos Getriebener, dem der Schatz, den er auf der Insel im Mittelmeer findet und mit dem er seine Rache in Gang zu setzen in der Lage ist, Segen und Fluch zugleich wird. Als der «Graf von Monte Christo» kehrt er in die Gesellschaft zurück, die ihn verraten hat und in der er die geliebte Mercedes (Ornella Muti) als Gattin eines anderen finden muss, und wird eben doch nicht wieder ihr Mitglied. Die Wahl zwischen dem Vollzug seiner Rache und der Menschlichkeit ist unumgänglich in dem Moment, da Mercedes ihn um das Leben ihres Sohnes bittet. Zweifellos ist dies die Version des Stoffes, die am entschiedensten die pure Abenteuer-Dramaturgie überschreitet.
Depardieu war es auch, der 2000 eine neue Version von Les Misérables ( Les Misérables – Gefangene des Schicksals ) zum Erfolg bringen sollte, die in Josée Dayans Inszenierung durchaus Züge eines epischen Meisterwerks im Genre der opulenten Literaturverfilmungen trägt. Die Verfilmung folgt der Handlung von Victor Hugos Roman nun auch in die einzelnen Verästelungen: Wegen Brotdiebstahls für die hungernden Kinder seiner Schwester ist Jean Valjean zu schwerer Strafe verurteilt worden; insgesamt hat er 20 Jahre im Kerker verbracht. Endlich in Freiheit baut er sich eine neue bürgerliche Existenz unter einem anderen Namen auf und bringt es sogar zum Bürgermeister einer damals kleinen Ortschaft namens Montreuil. Doch da ist Kommissar Javert (John Malkovich), der ehemalige Zuchthausleiter, der Valjeans wahre Identität offenbaren will, und Valjean muss zusammen mit seiner Ziehtochter Cosette (Virginie Ledoyen) flüchten, für die er mehr als väterliche Gefühle hegt. Fatalerweise aber verliebt sich Cosette in den jungen Studenten Marius, der wie seine Freunde all seine Leidenschaft in den Umsturz der Verhältnisse setzt. Für die endgültige Auseinandersetzung der beiden Männer bieten dann die chaotischen Zustände während der Revolution den Hintergrund.
So sehr sich Dayans Filmserien immer auch als respektvolle Lektüre der literarischen Vorlagen und ihrer Sprache verstanden, so bedenkenlos übernahm das Blockbuster-Kino die Klassiker der französischen Abenteuerliteratur, um sie ihres moralischen und historischen Gehalts zugunsten von Action und Effekten zu entledigen, und vor allem das angepeilte jugendliche Publikum zu erreichen. The Count of Monte Cristo ( Monte Cristo ; 2002, Regie: Kevin Reynolds) benutzt das Frankreich im 19. Jahrhundert als Hintergrund für einen historischen Thriller: Aus Eifersucht liefert Fernand (Guy Pearce) seinen besten Freund Edmond Dantès (James Caviezel) an die Polizei aus und bezichtigt ihn des Hochverrats. Nach 13 Jahren Gefangenschaft gelingt dem unschuldig Verurteilten die Flucht. Dantès findet dank der Hilfe eines anderen Sträflings einen Schatz und plant mit den neuen Reichtümern einen Rachefeldzug gegen Fernand. Unter dem Decknamen «Graf von Monte Cristo» tritt er seinem ehemals besten Freund gegenüber. Der Film übernimmt gleichsam nur den Rache-Plot der Vorlage, versagt sich aber jeder tieferen Charakterzeichnung und der Dumasschen düsteren Stimmung.
Dafür ist der neue The Three Musketeers ( Die drei Musketiere ; 2011, Regie: Paul W.S. Anderson) ein Fantasy-Mantel-und-Degen-Film mit einigermaßen absurden Wendungen: Wie in einer Kostüm-Variante eines James Bond-Films sehen wir am Anfang einen großen Coup: Mylady de Winter (Milla Jovovich) und ihre drei Musketiere müssen in Venedig den, von Leonardo da Vinci persönlich, gezeichneten Plan einer gewaltigen Kriegsmaschine stehlen, wobei höchst tückische Fallen zu überwinden sind; auch die venezianischen Söldner unter Cagliostro (Til Schweiger) können sie nicht aufhalten. Doch auf dem Rückweg werden die Musketiere von Lady de Winter verraten («das ist nichts Persönliches, das ist rein geschäftlich...»). Zurück in Paris treffen Athos (Matthew MacFaden), Porthos (Ray Stevenson) und Aramis (Luke Evans) auf den jungen D’Artagnan (Logan Lerman), der sie der Reihe nach zum Duell gefordert hat. Die Ausführung des Kampfes wird durch die Männer von Kardinal Richelieu (Christoph Waltz) unterbrochen und, weil er sich beim heroischen Kampf auch gleich in die schöne Constance
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