Filmwissen
erster Linie dennoch ein Film der optischen Bewegung, ein französischer ‹Western› mit Charme und Esprit. In nahezu ununterbrochener Folge lösen heiter-schwungvolle Szenen und Aktionen einander ab, aufgenommen von einer sorgfältig und virtuos geführten Kamera, und bilden ein Feuerwerk aus Tempo, Schwung und Witz. Die brillant inszenierten Degengefechte, Verfolgungsjagden und Reiterszenen ergeben eine vergnügliche Persiflage auf sämtliche Don Juan-, Robin Hood- und Douglas Fairbanks-Filme. Pointen und Gags folgen sich in verblüffender Präzision. Und der unnachahmliche, unvergeßliche Gérard Philipe bewegt sich inmitten des heiteren Trubels mit der salopp-charmanten Frechheit und Eleganz eines liebenswürdigen, pfiffigen Lausbuben. Alles zusammengenommen ergibt eine blendende filmische Boulevardkomödie in historischem Gewand und in bester gallischer Tradition.» (Franz Ulrich)
Im selben Jahr wie Fanfan la Tulipe entstand so etwas wie ein amerikanisches Gegenstück, Scaramouche ( Scaramouche, der galante Marquis ; Regie: George Sidney), nach einer Vorlage von Rafael Sabatini. In der Stummfilmzeit hatte es bereits eine Version des Stoffes gegeben, Rex Ingram hatte 1923 die Regie geführt, und Ramon Novarro hatte die Titelrolle gespielt. Ihm folgte nun Stewart Granger, der (spätestens) mit diesem Film zum einzigen verlässlichen neuen Star des Genres wurde.
André Moreau (Granger) ist ein junger Lebemann, der vom Geld seines unbekannten Vaters ein unbeschwertes, ausschweifendes Leben führt. Als die Zahlungen plötzlich ausbleiben, macht sich André auf die Suche nach seinem Vater und entdeckt, dass er der Sohn des mächtigen Grafen de Gavrillac ist, der soeben das Zeitliche gesegnet hat. André hat sich zuvor in die schöne Aline de Gavrillac (Janet Leigh) verliebt und ist nun maßlos enttäuscht, da er glauben muss, sie sei seine Schwester. Aline wird ihrerseits der Hof von Marquis Noël de Maynes (Mel Ferrer) gemacht, dem Favoriten der Königin (Nina Foch) und berühmtesten Fechter Frankreichs. Zusammen mit seinem Freund Philippe (Richard Anderson), einem Führer der revolutionären Kräfte, gerät André in einer Taverne in Streit mit dem Marquis, der sie durch seine Fechtkünste demütigt. André entkommt schließlich und findet Zuflucht bei der Schauspielerin Leonore (Eleanor Parker), und er übernimmt, um sich zu verbergen, in ihrem Theater die Rolle des maskierten Clowns Scaramouche. André lässt sich von dem Meister, der auch Noël ausgebildet hat und mittlerweile mit den Revolutionären sympathisiert, Fechtunterricht geben. Und er selbst nimmt eine Stellung in der politischen Führung der Revolutionäre ein. Im Theater schließlich kommt es zum Duell zwischen Noël und André, als dieser die Maske des Scaramouche fallen lässt und de Maynes von der Bühne aus fordert. Den ausgedehnten Zweikampf (er nimmt im Film beinahe sieben Minuten ein) kann André schließlich für sich entscheiden, aber er bringt es nicht über sich, Noël zu töten. Kurz darauf erfährt André, dass er nicht der Sohn de Gavrillacs ist, sondern der des Marquis de Maynes, also Noëls Halbbruder. Er ist also frei, Aline zur Frau zu nehmen.
Innerhalb der amerikanischen Filme des Genres nach dem Krieg ist Scaramouche sicherlich ein Glücksfall; es «stimmt» alles, von den stilvollen Dekorationen über das sichtbare Vergnügen aller Beteiligten bis zu den exzellenten Fechtszenen und Stunts. Für den Erfolg ist aber auch jene genretypische Verbindung von Familiendrama mit erotischen Verwicklungen und großen historischen Ereignissen verantwortlich, die allgemeine und vielleicht eher banale psychologisch-soziale Konflikte in einen großen Rahmen stellt und als dramatisches Schauspiel zur glücklichen Lösung bringt. Ganz anders als später bei Cartouche ist freilich die politische Situation und die historische «Notwendigkeit» der Revolution hier nicht mehr als eine Folie.
Scaramouche sollte zwei Remakes in Europa erleben, Scaramouche ( Das Geheimnis des Scaramouche ; 1963, Regie: Antonio Isasi-Isasmendi) mit Gérard Barray in der Titelrolle, einem der im italienisch-französischen Mantel & Degen-Film dieser Zeit meistbeschäftigten Darsteller, und die deutsch-italienisch-jugoslawische Coproduktion Scaramouche ( Scaramouche, der Teufelskerl ; 1975, Regie: Enzo G. Castellari), die Michael Sarrazin als Titelhelden präsentierte. Freilich konnte keiner der beiden Filme die Leichtigkeit und das Flair der Arbeit von Sidney
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