Filmwissen
Begräbnis.
Cartouche ist so etwas wie ein heiterer Erziehungsroman in farbenprächtigen Bildern: Aus dem kleinen anarchistischen Dieb wird nach und nach der Sozialrebell, eine Art Prophet der kommenden Revolution. Dass die Welt der Reichen (noch) die Stärkere ist, weil sie die unerwartetsten Verführungen instrumentalisieren kann, erfährt er zu spät – jede Berührung ist gefahrvoll und tödlich. Mit dem Tod von Venus ist Cartouche zurückgeworfen auf den privaten Rächer. Die Liebe und das Abenteuer werden hier also, im Gegensatz zu den reinen Träumen des Abenteuerfilms, wieder zu Gegensätzen. Der erotische Abenteurer verrät den Volkshelden. Antizipiert ist das schon auf den ersten Metern, wenn Cartouche einer Dame den eben geraubten Schmuck mit den Worten zurückreicht: Verzeihen Sie, Madame. Ich hatte nicht gesehen, dass Sie schön sind!
Auf Längen aber bleibt dieses Thema unausgesprochen zugunsten eines differenziert entwickelten Porträts jenes Cartouche, der vorrevolutionären Wind in die Straßen von Paris trägt. Denn für den gemeinen Mann ist Cartouche keiner, den es zu verehren, sondern einer, dem es nachzueifern gilt. Was Cartouche verlangt, von den Männern seiner Bande wie von seiner Frau Venus, ist nicht Botmäßigkeit, sondern ihre Hilfe bei seinem Versuch, planmäßig die Macht der Feudalclique zu brechen. Hier sollen nicht die Armen auch mal was haben, hier wird mit einer Beharrlichkeit das hierarchische Staatsgefüge unterminiert, die auf die Jahrzehnte später ausbrechende Revolution hinweist. Wie wenig Cartouche ein Schinderhannes zuckmayerscher Provenienz ist, offenbart sich am besten im Verhältnis zu seiner pistolenschwingenden Frau Venus, die auch alles andere ist als ein Julchen von Käutners Gnaden. Venus, bei der man nicht weiß, ob Cartouche sie zur Frau nahm oder ob sie ihn zu ihrem Mann machte, sieht ihrem Geliebten denn auch seine Gelegenheitsamouren nach, wird erst nervös, als die ernsthafte Konkurrentin Isabelle auf den Plan tritt. Das alles läuft ab in einer Bildmanier, die das Routinierte streift. Solides Handwerk, im Tempo dann doch an ‹Fanfan la tulipe › , in der Farbgebung an Renoirs ‹Frühstück im Grünen› erinnernd. Was ins Auge fällt, ist nur die elegante Nutzung der Breitwand. Doch ein Neuerer politischen Stilwillens ist de Broca nicht. Wo er originär wirkt, ist immer zunächst eine thematische Absicht erkennbar. Bestes Beispiel ist Cartouches Intermezzo als Soldat. Gemeinsam mit La Douceur und La Taupe, die fortan seine treuesten Kumpane sein werden, überlebt er eine Schlacht, die von der Regie arrangiert ist bar jeden realistischen Moments, in der die Soldaten noch sterbend Purzelbäume schlagen und mit deren stilisiert klamottiger Inszenierung de Broca eine Ironisierung des militärischen dulce et decorum gelingt, die nur noch überboten wird vom Sarkasmus, mit dem er in der folgenden Sequenz dümmliche, pfauenhafte und effeminierte Kriegsherren vor den Mannschaften von Ehre und Vaterlandsverteidigung reden lässt, während die Offiziere schon auf den Sold der Krieger warten, die fallen werden.
Momente des Makabren hingegen kommen auf im letzten Drittel des Films, als Cartouche selbst zu stoppen beginnt, was er in Bewegung brachte. Die Equipage des Polizeipräfekten de Ferussac rollt durch die Straßen von Paris. Er und seine Frau Isabelle werden nervös ob der Flüche alter Marktweiber und tatenhungriger junger Burschen. Sie würden wohl eine Beute dessen, was man rechts Mob nennt, sorgte nicht Cartouche selbst um Isabelles willen dafür, dass sie ungeschoren bleiben. Damit wendet sich aber auch Cartouches Glück, das eben kein Zufall, kein Produkt vorgegebener eigener Größe ist. Mag immer Cartouche von Stund an vor seiner Frau und seinen Kumpanen als Führer posieren; die Wahrheit ist, dass der Feind der Hierarchie sich nur einer Frau wegen zum Herrn aufwirft. Wird das nicht gesagt, so wird es doch sichtbar in jener Sequenz gegen Ende, da Cartouche seinen Freund La Douceur befreit, der den staatlichen Häschern in die Hände gefallen ist. Der Schauplatz der Handlung entspricht der Eingangssequenz. Ein Markt, eine öffentliche Richtstätte. Unzählbare gemeine Leute und in einer Proszeniumsloge der Herr Polizeipräfekt, seine Anhängerschaft und Isabelle, seine Frau. Auf sie allein zielt, was Cartouche jetzt an Tollkühnheit leistet, wenn er sich als Klettermaxe geriert und sich endlich aus höchster Höhe huldvoll präsentiert. Der Elan des
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