Filou: Ein Kater sucht das Glück - Roman (German Edition)
Laufschritt zurück. »Ruf den Arzt«, rief er zu der jungen Frau hoch, die noch immer im Fenster lehnte. »Sie atmet noch. Und ruf den Bürgermeister an.«
Filou beobachtete aus sicherer Entfernung, wie der Arzt kam und wieder ging, wie Ma Dame hinausgetragen und in einen Krankenwagen gebracht wurde und der Bürgermeister ihr dabei die Hand hielt.
Doch erst, als er die junge Nachbarin ins Haus gehen sah, in der Hand eine Dose mit Katzenfutter, verließ er den Ort. Er hatte getan, was nötig war.
ACHTUNDZWANZIG
E s wurde kalt. Ein eisiger Mistral hatte alle Wolken vom Himmel geblasen, tags schien die Sonne, die Nächte waren sternenklar. Eines Morgens erwachte Filou mit Eiskristallen in den Barthaaren. Das Wasser im Bassin am Friedhof, aus dem er immer trank, hatte sich in einen eisigen Spiegel verwandelt. Tagelang blieb er nun im Keller, kroch unter die Lumpen auf der Kohlenkiste, schlief den halben Tag hindurch und träumte. Er träumte von Zsazsa, er träumte sogar von Lucrezia, und er träumte von einem Garten, in dem es nach Katzenminze roch und nach Mimosen und in dem eine zarte Gestalt Zaubersprüche rief. Arbutus unedo. Nepeta cataria. Lavandula augustifolia. Passiflora caerulea. Bougainvillea glabra. In seinen Träumen war es Frühling. Und manchmal lag an seiner Seite, wohlig schnurrend, die schönste Katze der Welt. Ein ganz und gar verbotener Traum.
Eines Nachts weckte ihn das Gefühl, dass sich da draußen etwas tat, dass etwas geschah, dass sich etwas veränderte. Er schälte sich schlaftrunken aus den Lumpen und sprang aufs Fenstersims. Nichts und niemand war zu sehen, er war allein auf der Welt, und so fühlte er sich auch. Seinen Brüdern war er schon lange nicht mehr begegnet. Die Menschen waren mit sich beschäftigt, er hatte die Suche nach einer Winterpension aufgegeben und ernährte sich von dem, was ein mitleidiger Mensch alle paar Tage für herrenlose Tiere wie ihn ans Kriegerdenkmal stellte. Manchmal hoffte er, dass es Marla war.
Er sprang auf die Straße und lief hoch zum Roche du Diable, zu seinem Ausguck auf dem Felsen. Beaulieu lag da unten wie ausgestorben. Noch nicht einmal Fledermäuse schwebten vor dem Mond, wozu auch, es flatterte ja nichts Essbares mehr in der Luft. Ob das jemals ein Ende hätte? Ob es jemals wieder wärmer würde?
Er hockte sich auf die Felsenspitze, auf der er so oft mit den Brüdern gesessen hatte, und hob die Nase in den Wind.
Ja, es veränderte sich etwas. Er spürte es bis in die Haarspitzen. Der Vollmond stand hoch am Himmel, aber vor seinem runden Gesicht waberte ein weißer Schleier. Ein milder Südwind wehte Düfte von Meer und Pinien und würziger Erde an seiner Nase vorbei. Wetterumschwung. Es wurde wärmer. Es bewölkte sich. Es würde regnen.
Im Wäldchen pfiff und keuchte ein Steinkauz. Wenigstens eine Kreatur war noch wach. Filou wartete, bis der Mond hinter den Wolkenschleiern versunken war, dann trabte er zurück in den Keller.
Als er am nächsten Morgen aufwachte und aus dem Fenster schaute, erblickte er eine Welt, die ihm völlig unvertraut war. Da draußen war über Nacht alles weiß geworden, die Straße, die Büsche, die parkenden Autos. Sogar die Mülltonnen trugen weiße Hauben. Filou konnte sich keinen Reim darauf machen, er hatte so etwas noch nie gesehen. Wie Sand aus der Sahara, den der Südwind manchmal mitbrachte, sah das weiße Zeug nicht aus. Es blitzte und glitzerte in den Sonnenstrahlen, die sich in den kahlen Ästen des Wäldchens brachen und mit spitzen Fingern die Straße abtasteten. Der Wind musste ein weiteres Mal gedreht haben, denn man sah kein Wölkchen am Himmel. Und kalt war es auch.
Filou schnupperte an den federleichten weißen Kristallen, die aufs Fenstersims geweht waren. Kein Geruch. Er streckte die Zunge aus. Kein Geschmack. Nur kalt waren die weißen Federchen, die noch feiner waren als das Brustgefieder eines soeben flügge gewordenen Rotkehlchens.
Er blickte nach unten auf die Straße. Amselkrallen zeichneten ein Muster in den weißen Pelz. Also konnte man die weiße Welt betreten. Er sprang.
Er landete zwar auf allen vier Pfoten, aber er sank sofort ein. Um ihn herum stoben die weißen Kristalle auf und senkten sich wieder über ihn, bis sein Pelz weiß bepudert war. Mit einem gewaltigen Bocksprung rettete er sich aus der weichen Watte auf eine Mülltonne.
Dort hob er die Vorderpfoten aus dem Kristallteppich und staunte über die neuen weißen Söckchen über den roten Pfoten, wobei auch der Rest
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