Filzengraben
hatte doppeltes Pech«, berichtete Paul Merckenich weiter. »Denn just da kam Kall vorbei. Der hörte das Gebell und ging nachschauen. Stolzgespreizt wie ein Pfau hat er den armen Tropf an den Haaren aus dem Keller gezerrt. Endlich ist es ihm gelungen, einen Bösewicht auf frischer Tat zu ertappen. So viel Glück, glaube ich, hat er in seiner ganzen Zeit als Bürgerhauptmann noch nie gehabt.«
Ob man die Gehlen-Kinder ins Waisenhaus stecken sollte?, fragte sich Dalmonte. Und Hermine ins Arbeitshaus? Aber dazu war es wahrscheinlich schon zu spät. Wenn sie weiter so trank, würde sie das Pfingstfest nicht mehr erleben. Die Frau tat ihm leid. Einerseits. Andererseits war er böse mit ihr. Sie war doch nicht die Einzige, deren Mann auf und davon gegangen war. War das ein Grund, sich derart gehen zu lassen und darüber die Erziehung der Kinder zu vergessen? Aber wer weiÃ, was den Mann bewogen haben mag, nicht mehr aus den Niederlanden zurückzukommen. Vielleicht war Hermine am Ende selbst schuld an ihrem Elend.
Gleich schämte er sich wieder für seine unchristlichen Gedanken. Als Mitglied der Nikolausbruderschaft hatte er versprochen, bedürftigen Schiffern in der Pfarre und deren Familien zu helfen, und er tat es gern. Aber was, wenn die Hilfe nicht angenommen wurde? Er dachte an seine verschwundene Weinlieferung. Vielleicht hatte der Junge sie geklaut. Vielleicht aber auch nicht. Und was war mit den Tuchballen und den Pomeranzen und dem Aqua mirabilis? Gehörte der Bengel zu einer Bande oder steckten andere dahinter?
Merckenich schien seine Gedanken lesen zu können.
»Er behauptet, mit den Diebstählen in deinem Haus nichts zu tun zu haben. Dabei hat ihm Kall ganz schön zugesetzt. Aber er blieb dabei, selbst als sie ihm drohten, ihn ins Loch zu werfen.«
Dalmonte zuckte nur mit den Schultern. Er hielt nicht viel von Kalls Befragungsmethode. Vielleicht sollte er selbst mit dem Jungen reden.
Diedrich von Merzen hatte den Herren schweigend zugehört. Jetzt räusperte er sich.
»Ihr verzeiht, dass ich es mir erlaubt habe, mich Pfarrer Forsbach und Ratsherrn Merckenich anzuschlieÃen. Ich war ohnehin auf dem Weg zu Euch. Ihr könnt Euch vorstellen, dass mich die Vorkommnisse in Eurem Haus und bei Farina beunruhigen. Es kann jeden von uns treffen.«
Tatsächlich hatte sich Dalmonte gewundert, was von Merzen bewogen haben mochte, ihn zu besuchen. Beim Ratsherrenstammtisch in der »Vullen Kanne« vor gut einer Woche hatte er sich nicht gerade durch Taktgefühl ausgezeichnet, und auch geschäftlich kreuzten sich ihre Wege selten. Er, Dalmonte, arbeitete überwiegend mit Kaufleuten aus den Niederlanden und Ãbersee, hin und wieder auch mit Händlern vom Oberrhein. Von Merzen hatte sich mit Lieferungen vor allem nach Kassel, Göttingen, Halle und neuerdings auch nach Wien und Krakau ein bescheidenes Monopol geschaffen.
»Die Zeiten sind bedrohlich, wir müssen uns heutzutage alle vor Diebespack schützen. Ich bin gekommen, um zu fragen, ob ich Euch in irgendeiner Weise helfen kann?«
Er sprach leise und zurückhaltend, sein Ton verriet Respekt vor dem älteren und erfahreneren Konkurrenten. Paul Merckenich unterstützte ihn: »Es stimmt, Dalmonte, Ihr müsst Euch schützen. Vielleicht könnt ihr Spediteure euch zusammentun und gemeinsam Patrouillen aufstellen.«
»Genau an so etwas hatte ich gedacht. Allerdings dürften der Rat und die Regimentsobersten dabei noch ein Wörtchen mitzureden haben«, meinte von Merzen.
Das Gespräch wurde nun lebhafter, jeder der Herren kam mit eigenen Vorschlägen, man sprach über die Rondiergänge, eine bessere Bewachung der Lager und des Hafens, stärkere Türschlösser, bis der Hausherr ein wenig ungeduldig stöhnte: »Als ob ich das nicht schon alles auch mit Kall besprochen hätte.«
Genutzt hatte es nichts. Erst gestern, als Hermines Sohn schon auf dem Turm gefangen saÃ, wie er gerade erfahren hatte, war ihm wieder Ware abhanden gekommen. Matthias hatte gemeinsam mit einem städtischen Träger Salz aus Portugal aus dem Kaufhaus geholt, um es zum Hafen zu bringen â aber so schnell, wie einer der drei Säcke von der Ladefläche verschwunden war, hatten die beiden gar nicht gucken können. Bisher hatte er noch niemandem von diesem neuen Diebstahl erzählt. Nicht einmal Merckenich. Je mehr Buhei, desto mehr Schaden für sein
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