Filzengraben
hat gesprochen: Der Frühling wird kommen mit seiner ganzen Pracht. Lasst die dicken Tücher und Umhänge zu Hause, holt die Strohhüte mit den bunten Bändern aus der Truhe und tanzt in den Mai. Wer aber nicht mehr springen kann, weil ihn die Gicht plagt, der reibe sich mit dem Ãl des Murmeltiers ein. Ein Töpfchen für nur eineinhalb Stüber. Nur eineinhalb Stüber. Nirgendwo bekommt ihr es billiger.«
Ein alter Mann machte den Anfang. Er zählte sein Geld zusammen, reichte es dem Schreier hoch und erhielt seine Medizin.
»Gut und reichlich einreiben«, rief der Murmeltierbesitzer, und der Alte versprach, den Rat zu befolgen. Aber der, der gewusst hatte, um was für ein Tier es sich handelte, runzelte die Stirn.
»Hokuspokus«, sagte er zu Giacomo, der mit seinem Bauchladen hinzugetreten war.
»Nein, kein Hokuspokus«, widersprach der, aber dann schwieg er, als er sah, wie der andere sich erregte. Es war sinnlos, vornehmen Herren etwas erklären zu wollen. Die würden sich von einem hergelaufenen Südländer, wie er einer war, nichts sagen lassen.
Am Abend kommen der Vater und zwei Männer aus Albogno mit zwei erbeuteten Murmeltieren aus den Bergen zurück. Die Kinder rennen ihnen entgegen, allen voran Carlo, der älteste Enkel der Nonna. Wenn der Winter vorbei ist, wird er zu den Schornsteinfegern gehen. Dann wird es hier oben in Piodabella einen Esser weniger geben. Giacomo ist froh darüber. Denn Carlo esse für fünf, klagt die alte Frau immer, sie wisse gar nicht mehr, wie sie ihn satt kriegen solle. Bei ihm zu Hause sind sie gerade fünf, Giovanna, Rosa, Matteo, Carlotta und er, Giacomo, der Jüngste. Giacomo stellt sich vor, dass Carlo, wenn er seinen beiden kleineren Geschwistern alles weggegessen hat und es sonst nichts mehr zu beiÃen gibt im Haus der Nonna, zu ihnen kommt und alles Brot aufessen wird, das die Mutter unterm steinernen Dach des Hauses aufbewahrt. Das Brot muss lange reichen, hat Giovanna dem Vierjährigen eingebläut, nur einmal im Jahr wird unten im Dorf gebacken.
Aber für die nächste Zeit haben sie genug zu essen. Giacomo läuft das Wasser im Mund zusammen, er liebt Murmeltierfleisch, die Nonna reibt es mit wildem Thymian ein. Auch die Mutter strahlt, als die toten Tiere nebeneinander auf dem kleinen Platz zwischen den drei Almhütten liegen.
»Damit auch der Nächste glücklich auf die Welt kommt«, sagt der Vater zu ihr und streicht ihr über den Bauch.
»Amen«, sagt die Mutter und hält die Hand des Vaters einen Herzschlag lang über der dicken Wölbung fest.
Hat erâs doch gewusst! Als die Ziege so prall und dick war, dass er glaubte, sie platze gleich, hat sie zwei Zicklein geboren. Er ist sogar dabei gewesen. Ob in der Mutter auch zwei Kinder stecken? Freuen kann er sich darüber nicht. Das Brot wird nicht reichen, wenn noch ein Kind ins Haus kommt. Vielleicht wird es auch so viel essen wollen wie Carlo, der für fünf isst. Aber wenigstens wird er dann nicht mehr der Jüngste sein. Und wenn es ein kleiner Bruder wird, hätte er jemanden zum Spielen. Denn Matteo ist zwar auch sein Bruder, aber der spuckt bloà und brabbelt unverständliches Zeug. Und manchmal macht er sogar noch in die Hosen.
Die Nonna kocht das Murmeltierfleisch. Das beste Stück bekommt die Mutter. Als die Wehen einsetzen, geht wirklich alles ganz schnell. Mit aller Macht schreit Angelino Battista gegen die aufgehende Sonne an. Gesund und kräftig ist das Kerlchen. Ein Goldkind, flüstert die Mutter und beginnt zu singen.
»Wieso Gold?«, fragt Giacomo, aber Giovanna lacht ihn aus und schickt ihn zum Ziegenhüten.
»Was kostet Euer Wunderwasser?«
Die Stimme einer jungen Frau holte Giacomo in die Gegenwart zurück. Es war eine warme, angenehm dunkle Stimme. AuÃergewöhnlich sachlich.
Die meisten Interessenten fragten leise, fast schüchtern nach dem Preis seiner schmalen grünen Flaschen, aber die Augen flackerten begehrlich. Nur einmal, ein einziges Mal wollten sie besitzen, was für die noblen Herrschaften in den groÃen Städten eine Selbstverständlichkeit war. Nicht immer nur am Rand stehen und zusehen, wie andere ein sorgloses Leben lebten und sich Dinge leisteten, von denen man kaum zu träumen wagte. Vielen, die sich um seinen Bauchladen scharten, fehlte es am Notwendigsten, an Kleidung, Essen oder Holz fürs Feuer. Aber sie sehnten sich
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