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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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vorbeigegangen seien, fragte er den Alten. Aber der blinzelte mit seinen kranken Augen und kaute weiter, ohne dass Giacomo wusste, ob er ihn verstanden hatte. Er wollte es noch einmal versuchen, ließ es dann aber bleiben.
    Â»Möchtest du das Bier?«
    Wieder antwortete das Männlein nicht. Giacomo stellte den Krug neben ihn auf die Türschwelle und ging. Als er nach ein paar Schritten zurückblickte, hielt der Greis das Gefäß mit beiden Händen an den Mund und trank gierig. Eine Katze strich um seine Beine und schnupperte an dem flüssigen Zeug, das dem Mann vom Mund herabtropfte und auf dem Boden zu einer Pfütze zusammenlief. Das Geld, das Giacomo für die Rückgabe des Krugs bekommen hätte, war verloren. Unsicher ging er weiter, von allen Seiten fühlte er sich beobachtet. Mit einem Mal verspürte er Angst. Manchmal glaubte er, flüchtig ein Gesicht zu sehen, Augen, die ihn verfolgten, eine Handbewegung an einem Fenster. Einen Herzschlag lang dachte er, jemand sei hinter ihm. Er drehte sich um. Nichts. Nur der Schatten eines Hundes, der sich in einem Hausflur auflöste. Giacomo ging schneller, aber dort, wo die Holzgasse eine scharfe Biegung machte und er die Straße nicht mehr überblicken konnte, blieb er stehen, als befürchte er, jemand könne ihm auflauern. Da sah er mitten auf dem Weg Tilmans abgetragenen Dreispitz liegen, den der vielleicht irgendwann einmal aus dem Spendenbestand der Lyskirchener Armenbank bekommen hatte. Giacomo erkannte den Hut an dem Riss in der Krempe. Aber von Tilman und seinen Begleitern keine Spur.
    Warum hatte Tilman den Hut nicht aufgehoben? Waren die Männer so sehr ins Gespräch vertieft gewesen, dass Tilman nicht merkte, dass er ihn verloren hatte? Giacomo bückte sich danach, schaute noch einmal nach allen Seiten, dann schüttelte er den Staub von dem Hut und knüllte ihn in eine Tasche seiner Kleidung. Er würde ihn ihm beim nächsten Treffen zurückgeben.
    Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn zusammenzucken. Er fuhr herum. Jemand hat beobachtet, wie ich in der Wirtschaft das Bier bezahlt habe, durchzuckte es ihn. Und jetzt waren sie hinter ihm her! Das war ein abgekartetes Spiel! Tilman hatte das Ganze eingefädelt, ihn in diese Falle gelockt! Ein Mann, ein dünnes Pfeifchen im Mund, war aus einer Tür getreten. Er musterte Giacomo gleichgültig, grüßte kurz und ging in die andere Richtung, zum Holzmarkt.
    Giacomo hatte seinen Geldbeutel so fest an sich gedrückt, dass ihm die Arme wehtaten. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, es zerriss ihm fast die Kehle. Nach zwanzig Schritten hatte er die Große Witschgasse erreicht. Die Hände in seinen weiten Ärmeln ineinandergefaltet, kam ein Mönch daher. Zwei Damen im Sonntagsstaat flanierten vorbei. Ein kleines Mädchen knickste vor ihnen und sprang dann auf einem Bein weiter. Mal auf dem rechten, mal auf dem linken. Es war ein ruhiger Sonntagabend, dieser Abend. Die Luft war mild, der Wind brachte Holzgeruch vom Rhein. Die Mauersegler schrien. Allmählich kam Giacomo wieder zu Atem.
    Dass Tilman ihn hatte sitzen lassen, dass er ihn – er zwang sich, das Wort laut auszusprechen – womöglich hintergangen hatte, schmerzte.
    Als er schon fast an der Mathiasstraße war, kam ihm eine junge Frau entgegen. Er erkannte sie sofort. Sie trug den Silberreif an ihrem Arm. Sie schien ihn nie abzulegen.
    Die Frau blieb stehen. Er glaubte, den Fleck in ihrem linken Auge erkennen zu können. Rotbraun war er gewesen, wie die Kette der Gentildonna. Aber als er sah, dass sie nun auf ihn zukam und dass sie etwas sagen wollte, zog er seine Mütze ins Gesicht und wechselte die Straßenseite. Er hatte keine Lust, sich noch einmal von ihr ausfragen zu lassen.
    Griet war nicht in der Spielmannsgasse. Sie sei zu ihrer Mutter gegangen und komme wahrscheinlich erst in ein paar Tagen wieder zurück, hatte die rote Cristina gesagt und ihn herausfordernd angelächelt. Er glaubte ihr nicht. Griet hatte ihm erzählt, ihre Mutter sei gestorben, als sie sieben Jahre alt war, ein Onkel habe sie bald darauf hierher in die Spielmannsgasse gebracht, damit sie sich ihr Essen verdiene. Einen Vater erwähnte sie nie. Ihr Gesicht war nicht mehr gezeichnet als das anderer Mädchen, die von der Liebesdienerei lebten. Manchmal bemerkte er auf ihrem Körper schwarz unterlaufene Stellen oder rote Striemen, sie hatte ihm das Fragen verboten, also

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