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Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Titel: Final Cut - Etzold, V: Final Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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verschlagen hatte! Den ganzen Sommer stand die Terrassentür des kleinen Hauses offen; es war Freitag; die Schule war zu Ende; im Kühlschrank standen kalte Limonade und Eis; in der Garage stand das Fahrrad, und die Sonne schien. Am Samstag wurde gegrillt, und die Nachbarn und ihre Kinder kamen vorbei. Die Kinder vom Haus gegenüber brachten ihre Kaninchen mit, die neugierig im Garten herumhoppelten. Die anderen Nachbarn brachten Meerschweinchen mit, von denen zwei davonliefen. Eines wurde von der Nachbarkatze gefressen, was kurzzeitig für großes Geschrei sorgte.
    Es gab noch keine Handys, keine Internetforen, keine Networks, keine Segmentierung der Kinder nach Markenkleidung und Accessoires, dafür endlose grüne Wiesen, dunkle, geheimnisvolle Wälder und Sonnenuntergänge im flirrenden Abendnebel, vor dem die Eintagsfliegen und Mücken tanzten und ein Tag genauso aufregend endete, wie der andere beginnen würde. Angeln am verbotenen Tümpel, wo angeblich der Geist des alten Bauern spukte, der dort vor hundert Jahren ertrunken war. Versteckspielen auf dem Reiterhof, der den Lüders gehörte, der reichen Bauernfamilie. Die dicke träge Katze streicheln, die tagein, tagaus auf dem Hof vor der Scheune döste. Reiten auf dem alten Klepper, der gutmütig alles über sich ergehen ließ und im Stall der Lüders sein Gnadenbrot bekam. Klingelstreiche beim Schwesternwohnheim des nahen Krankenhauses und an den Häusern der Nachbarschaft und die fröhliche Flucht vor schimpfenden, aber gutmütigen Dörflern durch von Sonnenschein durchflutete Gassen.
    Unweit vom Bauernhof gab es eine Kuhweide. Jeden Abend hatte der alte Lüders die Kühe mit den plattdeutschen Worten Keyhee komm in den Stall getrieben. Claudia hatte den alten Bauern nahezu perfekt imitieren können, trotz ihrer völlig unterschiedlichen Stimmlagen. Clara würde nie das Bild vergessen, als die fünfjährige Claudia mit den Worten Keyhee komm den Weidezaun entlanglief und die Kuhherde muhend und schnaubend hinter ihr her trottete. Der alte Lüders hatte nicht gewusst, ob er sich darüber ärgern oder amüsieren sollte, entschied sich dann aber für Letzteres.
    Du kannst doch nicht einfach die Kühe zum Narren halten, hatte Clara als große Schwester damals tadelnd zu Claudia gesagt, die sie verwundert angeschaut hatte, als wäre so etwas die normalste Sache der Welt.
    Warum?, hatte sie wissen wollen.
    Kinder hatten eine eigene Art, warum zu sagen. Ein wenig neugierig, aber auch ein bisschen beleidigt und enttäuscht, weil die Welt ihnen das unbeschwerte Leben mit Tausenden von Einschränkungen so kompliziert machte.
    Je mehr Clara später darüber nachdachte, desto mehr empfand sie jene uneingeschränkte Ehrlichkeit und aufrichtige Neugier, mit denen ein Kind die Welt entdeckt, die Freude, wenn es im Sandkasten Burgen baut und dabei von Märchenschlössern oder sagenhaften Ländern träumt, oder wie es weint, weil es traurig über die Welt ist – so traurig, wie die erwachsenen Zyniker es gar nicht mehr sein können.
    Wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben , hatte der alte Bauer Lüders damals gesagt.
    Clara wischte sich die Tränen aus den Augen und betrat ihr Büro.

43.
    Vladimir klickte durch die Fotos auf Ingos Rechner.
    Bilder von Gefesselten, Sterbenden und Toten, die meisten davon deutlich unter zwanzig.
    Und dann sah er ein Foto, auf dem ein Name stand. Genauer gesagt, stand der Name auf einem Gegenstand, der auf dem Foto zu sehen war.
    Es war der Name eines der Opfer Ingos.
    Vladimir begann zu recherchieren: über die Familie, die Berufe, die Hintergründe.
    Schließlich fand er einen anderen Namen.
    Und einen anderen Beruf.
    Sie sollte es sein.
    Sie würde sein Werk überwachen.
    Sie würde ihm die Absolution erteilen.
    Er würde sie in sein Werk einbeziehen, sobald es begonnen hatte.
    Und er würde ihr schreiben.
    Sehr bald.
    Sie war, wie Ingo M., ein Teil seines Plans. Und Ingo M. war Teil ihres Planes.

44.
    Clara öffnete die Tür zu ihrem Büro.
    Ein Drink mit MacDeath , überlegte sie. Warum nicht?
    Sie konnten ohnehin nichts unternehmen, solange die Ergebnisse nicht vorlagen. Und mittlerweile war es fast Mitternacht.
    Du wirst doch wohl nichts mit ihm anfangen wollen?, fragte eine Stimme in ihr. Denn MacDeath war ihr nicht unsympathisch, und die Art und Weise, wie er sie manchmal mit der brutalen Wahrheit konfrontierte, machte ihn noch interessanter für sie. Außerdem war er ehrlich, und das mochte Clara. Es gab zu viele, die

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