Final Cut - Etzold, V: Final Cut
schüttelte langsam den Kopf. »Ich weiß nicht, wie die Presse es schafft, immer wieder an solche Informationen zu kommen, aber so ist es nun mal. Möglicherweise hilft der Täter dabei sogar ein wenig nach, aber das wissen wir nicht.«
Bellmann legte die Zeitung so auf den Tisch, dass Clara den Artikel lesen konnte, und fuhr fort: »Sie haben gemeinsam mit Dr. Friedrich das Täterprofil dieses ›Namenlosen‹ erstellt«, er zog eine Mappe hervor und klappte sie auf, »und sagen dort selbst, dass ihm die Inszenierung wichtig ist. Und je besser und reißerischer die Story, und je dümmer wir dastehen, desto besser für ihn.«
»Dann sollten wir ihn so schnell wie möglich fangen«, sagte Clara, die sich dabei ertappte, wie sie eine der Büroklammern auf dem Tisch verbog. Bellmann hatte es sofort bemerkt.
»Das sollten wir«, sagte Bellmann und klappte die Mappe zu. »Allerdings nicht so, wie er es sich vorstellt. Nicht so, dass es zum Rachefeldzug einer seelisch verletzten, gesundheitlich angeschlagenen Kommissarin wird, die vor Hass nicht mehr klar denken kann.«
»Bei allem Respekt, Dr. Bellmann, aber ich kann nach wie vor klar denken.«
»Das bezweifle ich nicht«, sagte Bellmann, »aber in diesem Fall?« Er schaute auf die verbogene Büroklammer und dann auf Clara. »Nein.« Er lehnte sich zurück. »Sie sind persönlich in die Sache involviert. Der Killer hat den Mann getötet, der vermutlich Ihre Schwester ermordet hat. Und das vergessen Sie ihm nie.« Er schaute wieder aus dem Fenster. »Und das nimmt Ihnen die objektive Schärfe, die wir in diesem Beruf brauchen.«
Clara dachte angestrengt nach. Sie sind persönlich involviert. Zugegeben, das konnte ein Nachteil sein, aber auch das genaue Gegenteil.
»Dr. Bellmann«, sagte sie, setzte sich aufrechter hin, nahm alle Kraft zusammen und vergaß die verbogene Büroklammer. »Was Sie als Nachteil sehen, kann durchaus ein Vorteil sein.«
Er zog die Augenbrauen zusammen. »Ach? Das müssen Sie mir erklären. Aber versuchen Sie nicht, Nachteile als Vorteile zu verkaufen. Versicherungsvertreter-Dialektik funktioniert bei mir nicht.«
»Ich weiß«, sagte Clara. »Aber es ist doch so: Der gemeinsame Hintergrund, dass wir beide, der Killer und ich, von Ingo M. verletzt und gedemütigt worden sind, macht aus der Täter–Kommissar-Beziehung ein Spannungsfeld, das zwar er ausnutzt, das aber auch wir ausnutzen können.«
Bellmann hörte zu, ohne etwas zu erwidern.
Clara fuhr fort: »Der Nachteil, den Sie sehen, wenn ich an dem Fall dranbleibe, weil ich möglicherweise zu sehr von Rachewünschen getrieben bin, kann für den Namenlosen ebenfalls ein Nachteil sein. Nämlich dann, wenn er meint, er müsste mir den Todesstoß versetzen und dabei unvorsichtig wird.«
Bellmann runzelte die Stirn. »Sie meinen, er erlaubt sich einen Patzer, aber nur, solange Sie an dem Fall arbeiten und er ausreichend motiviert ist, für Sie seine spezielle Show abzuziehen?«
»Genau. Wenn ich aus dem Spiel bin, könnte er seine Killerrituale im Stillen weiterführen, wie er es mit den zwölf anderen Frauen gemacht hat, von denen wir noch immer nicht wissen, wo die Leichen liegen – falls es sie gibt.«
»Sie sagten ›Todesstoß‹. Ist Ihnen schon mal in den Sinn gekommen, dass er auch Sie töten könnte?«
Clara presste die Lippen zusammen und nickte. »Ja. Ich habe darüber auch mit Dr. Friedrich gesprochen. Die Möglichkeit besteht. Aber wir halten es insofern für unwahrscheinlich, als ich sein Werk nur dann begutachten kann, wenn ich lebe. Einer Toten kann er nichts zeigen, nichts erzählen.«
Bellmann ließ sich Zeit, bevor er entgegnete: »Gesetzt den Fall, Sie bleiben an der Sache dran, werden Sie jeden Ihrer Schritte mit Kriminaldirektor Winterfeld und mir abstimmen. Sie werden uns über jede Mail, jede CD, oder was auch immer Sie von diesem Geisteskranken bekommen, unverzüglich in Kenntnis setzen, egal, zu welcher Tages- und Nachtzeit. Haben Sie verstanden?«
Clara nickte. »Ich habe verstanden.«
Es vergingen zehn Sekunden, in denen Bellmann noch einmal nachdenklich aus dem Fenster schaute.
»Gut«, sagte er schließlich und klopfte auf den Tisch. »Ich spreche gleich mit Dr. Friedrich bezüglich des Täterprofils.« Er schaute wieder in die Mappe. »Aber trotzdem wäre ich verrückt, Sie an dem Fall zu lassen.« In Clara stieg Verzweiflung auf. War das eine boshafte Finte gewesen? Hatte er Hoffnung in ihr geweckt, um sie nun zu zerstören? Bellmann fuhr fort:
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