Finale Mosel
von Drehknöpfen und Kontrollanzeigen vorbeigetragen.
»In zwei Stunden beginnt die Aufführung.«
Walde konnte sich nicht vorstellen, dass hier in zwei Stunden tausend Leute einer Oper lauschen sollten. »Wo sind Ihre Musiker?«
»Zum Essen.« Orthauser beobachtete, wie die Notenhalter aufgestellt wurden. »Das ganze Orchester ist viel zu weit auseinander gezogen. Das sind gut und gerne dreißig Meter. Da lässt sich kein transparenter Orchesterklang mehr erzielen, und die erste Reihe der Zuschauer sitzt praktisch an meinen Frackschößen. Wer da hockt, hat Pech gehabt.« Er grinste. »Wenigstens können die ihr Geld nicht zurückverlangen. Da ist heute die B-Prominenz vertreten, von denen musste aber auch keiner was für seine Karten bezahlen. Die A-Prominenz war bei der Premiere.«
Walde folgte seinem Blick zum dicht von Stühlen umringten Dirigentenpult. Neben ihnen stand ein Helfer mit zwei Notenständern.
»Nur zu!«, forderte Orthauser den Mann auf und wandte sich wieder Walde zu. »Lassen Sie uns nach hinten gehen.«
Ihre Schritte hallten über den Steinfußboden, als sie zum Taufbecken neben dem Portal gingen.
»Ich muss heute Abend noch lange genug stehen.« Orthauser setzte sich auf eine der mit dünnen Kissen bedeckten Steinbänke, die um das Taufbecken angeordnet waren.
Walde setzte sich neben ihn. Orthausers Gesichtshaut war großporig und wirkte aufgedunsen. Unter den kleinen Augen hingen schlaffe Tränensäcke. Er schien unter akutem Schlafmangel zu leiden.
»Für wen hatten Sie die Karte bestellt?«, fragte Walde.
»Welche Karte?«
»Eine Eintrittskarte für die Premiere von Elektra.«
Der Dirigent bog ein Ende seiner Fliege nach unten. »Das weiß ich nicht mehr, ich wurde andauernd gefragt. Und dann habe ich ein großzügiges Kontingent erhalten. Es ist unglaublich, wie viele Leute gratis in die Vorstellung kommen. Je vermögender sie sind, umso einfacher scheint es zu sein, an Freikarten heranzukommen.«
»Es war nur eine einzige Karte«, blieb Walde hartnäckig.
»Nur eine? Auch das ist mir entfallen. Vielleicht erinnere ich mich ja wieder, ich rufe Sie dann an. Haben Sie eine Visitenkarte?«
Eine junge Frau kam zur Eingangstür herein. Sie trug ein Schminkarsenal aus Pinsel, Puder, Lippenstiften, Wimperntusche, Rouge und Lidschatten wie einen Bauchladen vor sich her. Sie hatte einen graubraunen Schal am Hals geknotet und von dort über den Kopf geschlungen. Hinter ihrem Kopf quollen ungebändigte lange, brünette Locken aus dem Schal. In ihrer ärmellosen Fellweste wirkte sie wie eine Höhlenbewohnerin aus Urzeiten.
»Wir werden gleich noch eine Klangprobe machen«, sagte Orthauser. »Hier in der Basilika haben wir eine ganz besondere Akustik. Meine Hundertschaft soll die Sänger noch zur Entfaltung kommen lassen. Sie können sich nicht vorstellen, was es für mich bedeutet, mit Hertha Bergmann und Johanna Jilsa zusammenarbeiten zu dürfen.«
»Und mit Tiefenbach«, ergänzte Walde.
»Mensch, die sind doch nur für das Amphitheater! Hier wird uns garantiert kein Windstoß die Blätter von den Pulten wehen.« Die Worte galten einem Mann, der mit einem Korb Wäscheklammern zur Tür hereingekommen war und augenblicklich wieder kehrtmachte.
»René war wirklich großartig, aber in Markus steckt auch eine Menge Potenzial.«
Mit Markus meinte der Dirigent wahrscheinlich den Sänger, den Walde vorhin bei der Probe im Theater gesehen hatte.
»Ich kann mir denken, weswegen Sie mich sprechen wollen«, kam Orthauser Walde zuvor. »Sicher haben Sie schon bei Ihren Kollegen in München nachgefragt.«
»Die berichteten …«
»Dass mich Tiefenbach in diese unangenehme Geschichte hineinziehen wollte.« Mit Daumen und Zeigefinger zog Orthauser ein langes Haar aus dem Kissen, auf dem er saß. »Das ist jetzt wirklich der denkbar ungünstigste Augenblick für dieses unerquickliche Thema.« Er seufzte. »So wie ich die Kunst von Privatem trenne, sah ich in René Tiefenbach auf der einen Seite den genialen Künstler und auf der anderen Seite den Menschen mit all seinen Schwächen.« Er seufzte erneut. »Schon möglich, dass auch ich manchmal ein wenig über die Stränge geschlagen habe.«
»Den Erwerb und Konsum von mehreren hundert Gramm Kokain nennen Sie ein wenig über die Stränge schlagen?«
»Das wurde von der Klatschpresse total aufgebauscht.«
»Ich zitiere aus den Akten.«
»Ich möchte nichts Schlechtes über einen Toten sagen, aber René hatte immer schon einen leichten Hang
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