Finale Mosel
Gabi bog hinter dem Humboldt-Gymnasium ab und hielt unter der Überdachung vor dem Eingang des Theaters, stieg aus, riss sich das triefend nasse Kopftuch herunter und trat gegen den Hinterreifen des Wagens. Dann öffnete sie den Kofferraum und beugte sich hinein.
»Da steckt irgendwo ein Hebel hinter der Verkleidung.«
Walde verließ ebenfalls den Wagen und schüttelte die Plastiktüte aus. Sein Hemd klebte ihm auf der Haut wie letzten Samstag nach dem Waldlauf im Gewitter. Er verkniff es sich, daraufhin zu weisen, dass sie hier nicht stehen durfte. Ein paar Meter weiter durchpflügten Autos im Schritttempo, die Scheibenwischer rackerten auf höchster Stufe, das sich auf der Straße sammelnde Wasser.
»Scheiß Hydraulik!« Gabi zog ein dunkles Kunststoffteil ab, das empfindlich ächzte. »Den muss ich nach rechts oder links um 180 Grad drehen, wenn ich ihn … da ist er ja.«
Sie kam wieder hervor und wuchtete mit Schwung das Verdeck nach vorn.
»Ich komm’ schon klar! Du kannst gerne los«, rief Gabi. Ein Schwall Wasser ergoss sich über Waldes Schuhe.
»Bis morgen!« Sie stieg ein, wendete den Wagen und brauste winkend davon.
An den Glastüren zum Theaterfoyer hingen Plakate von Aufführungen der gerade abgelaufenen Saison sowie der Antikenfestspiele. Von einem blickte ihn René Tiefenbach mit ergriffener Miene an.
Die erste Glastür zum Foyer des Theaters war verschlossen. Walde versuchte es bei den drei anderen. Vergeblich. Das hätte er sich denken können. Die Spielzeit war vorbei. Es half nichts. Er spurtete die gut hundert Meter durch den Regen zur anderen Seite des Gebäudes, wo er unter dem kleinen Vordach vor dem Bühnen- und Personaleingang durchschnaufte. Jetzt war er vollkommen nass. Auch hier war die Eingangstür verschlossen.
Vom Vordach fiel ein dichter Regenvorhang. Gebückt lief Walde unter dem Dachvorstand am Gebäude entlang. Er gelangte zu den Rosten über den großen Fenstern der Proberäume im Keller. Im zweiten Fenster brannte Licht. Walde spähte in den Raum, offensichtlich wurde gerade geprobt.
Auf dem dunklen Parkett standen sich eine Frau und ein Mann gegenüber, bei dem es sich wohl um Markus, die Zweitbesetzung des Orest, handelte. Klar, dachte Walde, so schnell kann es gehen. Gestern noch die zweite Geige in Wartestellung und heute vorn an der Bühne. Da ist sicher noch einiges zu proben bis alles sitzt. Und Tiefenbach zu ersetzen war eine Aufgabe, die er wohl kaum erfüllen konnte. Während sich Kehlheim dahinter mit verschränkten Armen auf einem Stuhl fläzte und Johanna Jilsa lächelnd an der Wand lehnte, sang der Mann mit dramatischer Mimik. Walde sah nur die Bewegungen des Mundes. Das Prasseln des Regens und die dicke Scheibe des Fensters ließen keinen Ton zu ihm nach draußen dringen. Der Sänger zeigte hoch in Waldes Richtung. Doch er schien ihn nicht zu sehen und wandte sich wieder seiner Partnerin zu, bei der es sich, wenn Walde die Szene richtig deutete, um Elektra handelte. Markus brach ab. Er drehte sich zu Kehlheim, der, nach vorn gebeugt, eine Anweisung gab.
Das gab Walde die Gelegenheit, fest gegen die Scheibe zu klopfen. Drinnen schien ihn niemand zu hören. Er pochte fester.
Kehlheim schaute unwirsch nach oben. Es dauerte eine Weile, bis er Walde erkannte und ihm mit Handzeichen zu verstehen gab, dass er hinaufkäme. Walde ging zum Bühneneingang zurück. Mittlerweile hatte er keinen trockenen Faden mehr am Leib. Er würde sich eine Erkältung einfangen, dachte er. Das fehlte gerade noch.
»Heute hat sich wohl alles gegen uns verschworen«, sagte Kehlheim, als er nach einigen Versuchen endlich die Tür aufgeschlossen bekam. »Erst das Gewitter, und dann folgt …«
»Die Heimsuchung durch die Kriminalpolizei«, ergänzte Walde und zupfte sich das klatschnasse Hemd von der Haut. »Ich wollte eigentlich Herrn Orthauser sprechen.«
»Der ist nicht hier.«
»War er nicht vorhin mit Ihnen zusammen im Bus?«
Kehlheim fuhr mit der flachen Hand über ein Plakat, das neben dem durch eine Glasscheibe abgetrennten Raum des Pförtners hing. »Doch, aber wir haben ihn an der Basilika abgesetzt. Das ist unsere Ausweichstätte, wohin wir heute notgedrungen die Aufführung verlegen müssen. Aber Sie sind ja klatschnass!« Der Intendant schien dies erst jetzt zu bemerken. »Ich würde Ihnen ja gerne einen heißen Kaffee anbieten, aber wir sind hier auf uns selbst gestellt.«
»Danke.«
»Aber kommen Sie doch mit, wir finden vielleicht was Trockenes für
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