Finger, Hut und Teufelsbrut
Straße.
Abena Nneka war eine sehr schöne, gepflegte Frau, die hier in Deutschland Philosophie studiert hatte und in ihrer Doktorarbeit – selbst geschrieben, von Anfang bis Ende – afrikanische Weisheit mit europäischen Erkenntnistheorien verband. Sie wusste um die Wahrheit von Bauernsprüchen, wie der Weisheit aus dem Volk der Ganda: »Ein Herz, das seine Worte nicht sorgfältig abwägt, lässt dich etwas aussprechen, was dein Nachbar niemals vergessen wird.« Zudem war sie von ihrer Persönlichkeitsstruktur her eine eher um Harmonie bestrebte, zurückhaltende Frau. Aber Marcella Seifferheld weckte die dunkle Seite der Macht in ihr. Schließlich war auch Abena Nneka nicht einfach so vom Himmel gefallen, sondern war ein Mensch aus Fleisch und Blut, und wenn ihr jemand so komisch kam wie diese heißblütige Römerin, dann reagierte bei ihr irgendwann nicht mehr der geschulte Verstand, sondern das Adrenalin.
Die beiden Ehemänner hielten den Mund und schaufelten Kuchen in sich hinein. Ihr Verhalten erinnerte sehr an den Wettstreit zwischen Schweden und der Schweiz, wer von beiden mit der größeren Neutralität aufwarten konnte. Fela und Karina schauten nur betroffen, wie man als Kind eben schaute, wenn man sich der eigenen Eltern schämte und dachte, dass man unmöglich mit denen verwandt sein konnte und bestimmt adoptiert war.
Marcella war geübt in der Kunst des »bösen Blicks« und mit einem solchen bedachte sie jetzt ihre Gegenschwiegermutter. »Ich bin die Ältere«, räumte sie großzügig ein, »wenn auch nur um wenige Monate, da werden Sie mir doch wohl den Vortritt lassen. Das gehört sich so. In unserer beider Kultur.«
Adena schürzte die Lippen. »Was ich zu sagen habe, ist aber wichtiger. Und Wichtigkeit hat Vorrang vor Alter, auch wenn ich zweiunddreißig Monate nicht als
wenig
bezeichnen würde«, meinte sie, einen Hauch süffisant.
»Meine Güte, ich darf Ihnen versichern, was ich zu sagen habe, ist Ihrer Wichtigkeit an Wichtigkeit weit überlegen.«
»Ach wirklich, das werden wir ja sehen, wenn ich fertig bin.«
»Sie haben alle Zeit der Welt, sobald ich geendet habe, Zuckerpüppchen.«
»Zuckerpüppchen? Wie primitiv. Wenn ich mich auf Ihr Niveau herunterdenke, krieg ich Kopfschmerzen.«
»Noch so ein Spruch und Ihre Zahnbürste greift ab sofort ins Leere!«
Es lag ein Flimmern in der Luft. Das fromme Wunschdenken, dass an einem öffentlichen Ort keine Fäuste fliegen würden, löste sich in Luft auf. Marcella fuhr ihre orangerot lackierten Nägel aus, Abena schob ihre diversen Armbänder nach oben.
In diesem Moment wachte Fela junior auf.
Und gluckste.
Wenn Großmütter etwas nicht widerstehen können, dann dem Glucksen ihrer Enkel.
Plötzlich war die Luft raus. Die beiden Streithennen verstummten abrupt, beugten sich über Klein Fela und gaben ebenfalls Gluckslaute von sich. Von da an waren die drei für die reale Welt verloren: Eine Glucksglocke des Glücks hatte sich über sie gesenkt.
»Papa, was ist denn jetzt? Wenn du mir sagen kannst, warum unser Baby aussieht wie der große Vorsitzende Mao, dann tu das bitte!«, flehte Karina, die meinte, keine Sekunde länger warten zu können.
Fela nickte und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
»Vielleicht sollte ich zuerst …«, warf Suluhu Nneka vorsichtig ein.
»Dad, nicht das Ganze noch mal von vorn, bitte«, bat Fela.
Die Großväter sahen sich an.
»Karina, deine Urgroßmutter …«
»Fela, deine Urgroßmutter …«
Und wieder senkte sich Stille über den zweiten Stock der
Suite
21
. Abgesehen von dem Glucksen der Großmütter.
Karina und Fela fassten sich an der Hand.
»Wie jetzt?«, fragte Karina nach einer Weile.
»Karina, deine Urgroßmutter mütterlicherseits war Chinesin.«
»Fela, deine Urgroßmutter väterlicherseits kam aus China.«
Ja, so etwas in der Art hatte der Vererbungsmensch angedeutet. Rezessive und dominante Gene, wild gemischt, und ein paar Generationen später machte es »bum!«.
»Deine Urgroßmutter hieß Wei Ling und stammte aus Shanghai. Dein Urgroßvater Gaetano hat sie auf seinen Reisen als Unterwäschevertreter kennengelernt und sich verliebt«, fasste Karinas Vater in aller Kürze zusammen, bevor Marcella aus der Glucksglocke kroch und sich in epischer Breite über eine der größten Liebesgeschichten des vorigen Jahrhunderts ausließ. »Später in Italien nannten sie alle nur noch ›Cara‹, weil das der Kosename deines Urgroßvaters für sie war, und
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