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Finger, Hut und Teufelsbrut

Finger, Hut und Teufelsbrut

Titel: Finger, Hut und Teufelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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die rosa Wand gelehnt hatte, besagte rosa Wand aber noch nicht trocken war, und nun ein Fleck seine Cordsamtjacke zierte.
    Jetzt, am späten Abend, war Ruhe eingekehrt.
    Keiner mehr da. Außer den beiden knutschenden Mädels am Ecktisch. Und Klempner Arndt am anderen Ende der Theke, der mal wieder Bereitschaft hatte, dessen Kopf aber schwer auf seinen Armen ruhte und der definitiv eingeschlafen war.
    Und natürlich Klaus, der sich als Biereinschenker und Kaltmamsell wacker schlug. Er war überhaupt eine echte Perle hinter der Theke. Man durfte ihm nur nicht erlauben, seine Formationsflugfruchtfliegen mit zur Arbeit zu bringen.
    Bocuse war ratlos. Da hatte er alles, was er sich gewünscht hatte, und dennoch fehlte etwas …
    Die Tür ging auf, und ein junger Mann trat ein. Dem Aussehen nach auch kein Deutscher. Ein Fremder in der Fremde, wie er. Bocuse hob dem Neuankömmling prostend sein Glas entgegen.
    »Bonsoir! Was wünschen Monsieur?«, fragte er den jungen Mann.
    »Ein Apfelsaftschorle«, sagte Sunil, denn natürlich war es Sunil, der an einem Abend wie diesem, wo man einen Landsmann von ihm erschossen hatte, noch dazu einen legendären Cricketspieler, nicht allein sein wollte. Aber die fröhliche Feier im Studentenwohnheim – Joao aus Brasilien wurde vierundzwanzig – war auch nicht sein Ding.
    »Klaus! Apfelschorlé!«, rief Bocuse.
    »Sie sind auch nicht von hier«, fing Sunil eine Unterhaltung an. »Belgier?«
    »Franzose!«
    Es gab nichts Schlimmeres, als einem Franzosen zu unterstellen, er sei Belgier. Außer man unterstellte einem Belgier, Franzose zu sein. Das war richtig böse.
    Für Sunil war das aber einerlei. Wie viele Belgier gab es auf diesem Erdenrund? Zehn Millionen? Wie viele Franzosen? Zweiundsechzig Millionen? Das waren zusammen gerade mal eine Handvoll Leute mehr als allein Mumbai Einwohner hatte. Die konnten ruhig alle sauer auf ihn sein, das kratzte ihn nicht.
    »Frankreich. Das Land der Lebensart. Exzellentes Essen. Herrliche Schlösserkultur.« Sunil rezitierte nicht, das las er von dem Plakat des französischen Fremdenverkehrsbüros ab, das Klaus in einem hiesigen Reisebüro erbettelt und als Wandschmuck neben die Theke gehängt hatte.
    »Ach, Schlösser. Die werden maßlos überschätzt«, schimpfte Bocuse, der, weil er in Fahrt war, wieder einmal vergaß, mit französischem Akzent zu sprechen, was er normalerweise immer tat, weil es ihn interessanter machte, wie er fand. »Schlösser waren auch mal nichts weiter als kalte, stinkende Neubauten. Und die Küchen in französischen Schlössern waren so endlos weit weg vom Speisesaal, dass immer schon alles kalt war, wenn man es servierte. Deswegen haben französische Köche die Soße erfunden, als wärmende Decke obendrauf.« Er machte eine weit ausholende Geste, denn kalt war es in seinem Bistro auch. Außerdem roch es immer noch basisch nach Farbe.
    Sunil nickte höflich. »Sie sind kein glücklicher Mann«, wagte er zu sagen.
    »Ach, aber Sie schon oder was?« Bocuse guckte böse.
    »Ja, ich bin ein Goldkind. Denn ich habe die Gabe, in allem etwas Positives zu sehen.« Das las Sunil nun nicht ab, das memorierte er aus dem Abreißkalender der Wohnheimgemeinschaftsküche.
    Bocuse hätte sich übergeben mögen. Glückliche Menschen nervten tierisch.
    »Klaus! Pernod! Zwei!«
    »Danke, ich trinke keinen Alkohol«, wehrte Sunil ab.
    »Die sind beide für mich. Ich brauche das jetzt«, erklärte Bocuse. Für ihn war die französisch-indische Freundschaft beendet.
    Klaus ging ins Hinterzimmer, wo sich – nur für den »Patron« – der Vorrat an gutem Pernod befand. Als er zurückkam, hielt er ein gerahmtes Foto in der Hand. »Schau, was ich gefunden habe. Deinen Engländer. War zwischen Herd und Spüle gerutscht.«
    Die Lippen von Bocuse begannen zu erzittern. Eine Welle der Emotion übermannte ihn. Jamie Oliver. Das war es! Jetzt war ihm auf einen Schlag klar, was ihm die letzten Tage gefehlt hatte. Sein über alles geliebter, hochverehrter Jamie Oliver. Das war ein Zeichen: Jamie und er, wieder vereint.
    »Klaus! Lokalrunde!«
    Bei dem Wort »Lokalrunde« wurde Klempner Arndt schlagartig wach.
    Klaus zapfte noch drei Pils (zwei für die Mädels, eins für Arndt), goss Sunil Apfelschorle nach, setzte Bocuse zwei Pernod vor und genehmigte sich selbst noch eine Buttermilch.
    Bocuse nagelte Jamie Olivers Porträt voller Verzückung über die Eingangstür, gab anschließend noch zwei Lokalrunden aus, und dann wurde es doch noch so lustig,

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