Finger, Hut und Teufelsbrut
hätte. MaC war fest entschlossen, nur noch von Kaffee und Zigaretten zu leben. Sie hatte schon drei Kilo abgenommen, aber das war – bezogen auf ihr Gesamtgewicht – in etwa so, als würde man einen Liegestuhl vom Deck der Queen Mary II ins Meer werfen.
MaC wusste nicht, wie lange sie ihre Diät noch würde durchhalten können. Gestern Nacht, beim Zappen durch die Kanäle, hatte sie beim Anblick einer Katzenfutterwerbung eine regelrechte Heißhungerattacke bekommen. Gott sei Dank hatte sie ihren Kühlschrank immer noch nicht aufgefüllt. Und um zu Siggi zu gehen, war sie zu erschöpft gewesen.
Seit der Entführung des Kulturattachés war sie gewissermaßen rund um die Uhr im Einsatz. Heute Morgen war sie schon um 7:00 Uhr in der Redaktion aufgetaucht, und es hatte auch gleich eine Nachricht gegeben. Keine gute Nachricht.
»Weder die Familie noch die Botschaft wollen das Lösegeld zahlen«, flüsterte sie Seifferheld zu, damit die anderen Gäste des Bäckerei-Cafés sie nicht hörten. »Die Familie will Beweise, dass es ihm gutgeht. Und sie zahlt höchstens, wenn der Kulturattaché noch während der Geldübergabe freigelassen wird. Eine Überweisung vorab kommt für sie nicht in Frage. Die Botschaft wiederum sagt, dass sie nicht mit Terroristen verhandelt und als solche würde sie die Entführer einstufen.«
Seifferheld kaute verbissen an seiner restlichen Brezel. Er hatte ja gleich mit so etwas gerechnet. Entführungen liefen nie glatt.
Allerdings kannte er solche Szenarien früher nur aus dem Fernsehen oder den Berichten von Großstadtkollegen. Jetzt war es in Schwäbisch Hall geschehen.
»Ich find’s ja besonders unheimlich, dass sie den Phaeton des Oberbürgermeisters hinter dem Neubausaal gefunden haben«, sagte MaC. »Quasi direkt bei uns um die Ecke.«
Seifferheld hörte das »uns« heraus und freute sich, weil es für die Zukunft ihrer Beziehung Gutes verhieß. Aus taktischen Überlegungen ging er jedoch nicht weiter darauf ein. Stattdessen sagte er: »Die hatten dort einen anderen Wagen bereitgestellt, um unerkannt flüchten zu können. Bestimmt eine Limousine. Sie haben den Kulturattaché in den Kofferraum geworfen und sind dann ganz gemütlich weggezuckelt.«
»Aber das muss doch jemand gesehen haben. Es war doch heller Nachmittag!«, hielt MaC dagegen.
»Eben«, sagte Seifferheld. »Das ist ja das Geheimnis erfolgreicher Krimineller. Was man in aller Gemütsruhe am helllichten Tag macht, erregt keinerlei Aufsehen. Nur Stümper und Amateure verbrechern nachts.«
MaC schüttelte immer noch ungläubig den Kopf. Sie wollte widersprechen, Einwände erheben, aber sie wurde abgelenkt. Sie wurde nämlich angelächelt. Verführerisch angelächelt.
Unwiderstehlich verführerisch angelächelt.
Von dem Hörnchen.
Natürlich tat sie daraufhin, was jede normale Frau getan hätte: Sie gab Seifferheld die Schuld. »Musst du dich hier so vollstopfen, wo du doch genau weißt, dass ich auf Diät bin?«
Empört stand sie auf und stapfte wutschnaubend davon.
Seifferheld verstand die Welt nicht mehr.
Gleich darauf verspeiste er dennoch genüsslich sein Hörnchen.
Wenn Sie ein wunderhübsches, vollkommenes Baby haben, das immer lächelt, nie schreit, nachts stets durchschläft und regelmäßig Bäuerchen macht, dann sind Sie die Großmutter.
In ungewohnter Einigkeit hatten Fela und Karina einen Ad-hoc-Familienrat einberufen. Ihre jeweiligen Eltern hatten sich extra freigenommen und waren angereist.
Damit es, falls es zum Eklat kommen sollte, keine Gewaltausbrüche gab, fand das Treffen an einem öffentlichen Ort statt: in der
Suite
21
,
Karinas Lieblingscafé. Dort war gerade wenig los und sie hatten das oberste Stockwerk ganz für sich.
Herrmann und Marcella Seifferheld waren leichenblass, und die Nnekas waren unter ihrer schwarzen Hautfarbe bestimmt auch bleich. Sie hatten alle gewusst, dass dieser Moment einmal kommen würde.
Anfangs herrschte Schweigen.
Fela junior schlummerte selig in seinem Tragetuch vor Karinas Bauch.
Fela guckte stur geradeaus.
Nur Karina versuchte sich an einem Lächeln.
Karinas Eltern mühten sich ihr zuliebe mit einem Erwiderungslächeln ab. Ihre früher so ausgeflippte Karina hatte eine 180 -Grad-Wende vollzogen. Seit ihrer Schwangerschaft hatte sie sich nirgends mehr nackt angekettet, um gegen Echtpelze zu protestieren. Sie hatte keine Ferkel widerrechtlich in die Freiheit entlassen und keine Bettlaken mit linken Parolen aus Museumsfenstern gehängt. Aus ihr war eine
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