Finger, Hut und Teufelsbrut
auf den alten Schwarz-Weiß-Fotos sieht man ihr die Chinesin nicht mehr an.«
Karina erinnerte sich an die wenigen Fotos, die es von ihrer Urgroßmutter gab. Man sah ihr vor allem die Liebe zu Spaghetti an.
»Deine Urgroßmutter ist damals mit ihrer Familie in unsere Heimat geflohen und hat sich in einen jungen Griot verliebt. Sie starb bei der Geburt deines Großvaters, und dein Urgroßvater hat noch mal geheiratet«, erzählte Felas Vater. »Man hat sie nicht totgeschwiegen, es war eben nur so, dass das Leben einfach weiterging und die Ehe deines Urgroßvaters mit seiner zweiten Frau sehr glücklich wurde.«
Fela nickte. Ebenso wie die Ehen seines Urgroßvaters mit den Ehefrauen Nummer drei, vier und fünf. Mit den Nachfahren dieses Mannes ließ sich ein ganzer Kleinstaat bevölkern. Luxemburg zum Beispiel.
Karina und Fela sahen sich an. Sie waren also Sechzehntelchinesen. Und ihr gemeinsamer Sohn hatte die volle Ladung chinesischer Gene abbekommen. Der Genetiker hatte sie getröstet, dass sich da noch einiges verwachsen würde. Sie sollten einfach mal abwarten.
»Ich war ein Idiot«, gestand Fela.
»Hm, stimmt«, gab Karina ihm recht.
Sie küssten sich.
Ist eine Frau im Zimmer, ehe einer eintritt, der sie sieht? Gibt es das Weib an sich? (Karl Kraus)
»Hab ich es nicht gesagt? Ich hab’s gesagt! Was habe ich gesagt?«
Schrill gellte MaCs Stimme an Seifferhelds Ohr. Vor Schreck ließ er den Stickrahmen fallen.
»Äh … dass du auf Diät bist und ich in deiner Gegenwart nichts essen soll?«
»Unsinn, Siegfried, hörst du mir eigentlich nie zu?«
Das fand Seifferheld jetzt enorm unfair, weil er sich nämlich zu zweihundert Prozent sicher war, sich korrekt an die Worte zu erinnern, die MaC zuletzt mit ihm gewechselt hatte. Nicht zum ersten Mal fand er, dass Diäten grundsätzlich verboten gehörten: Sie machten aus willigen Weibern höhnische Hyänen.
Außerdem hatte ihn MaC jetzt völlig aus dem Konzept gebracht. Er stickte gerade »freihändig«, ohne Vorlage einfach ins Blaue hinein – nur was für echte Freestyler, die das Risiko nicht scheuten. Normalerweise ging er in diesen Extremmomenten, in denen es auf totale Konzentration und Fingerspitzengefühl ankam, gar nicht ans Telefon, aber die Neugier hatte gesiegt. Schließlich lebten sie in aufregenden Zeiten.
»Ich habe gesagt, dass es böse enden wird«, erklärte MaC mit mühsam beherrschter Stimme.
»Was denn?« Seifferheld tat nicht nur so, er stand wirklich auf dem Schlauch. Ging es noch um Diäten?
»Die Entführung! Ach Siggi, wo bist du nur mit deinen Gedanken?«
Hätte er jetzt sagen sollen: Bei der Vorbereitung meiner nächsten Sendung, schließlich bin ich ein aufgehender Stern am Radiohimmel?
MaC vermutete durchaus, dass er an Ätherwellen dachte, jedoch eher im Zusammenhang mit dem dunklen Pony einer gewissen Radiofrau. Dieser Gedanke trug nicht gerade dazu bei, ihre Stimmung zu heben.
»Die Entführer haben dem Kulturattaché einen Finger abgehackt. Zum Beweis, dass es ihnen ernst ist. Ich dachte, du weißt etwas darüber, aber offenbar weißt du rein gar nichts.«
Sie knallte den Hörer auf die Gabel.
Seifferheld schürzte die Lippen. Er wollte Onis ansehen und ihn fragen, wozu genau man sich doch gleich noch mal den ganzen Ärger mit den Frauen antat, aber Onis war nicht bei ihm, er lag, wie so oft in letzter Zeit, im Erdgeschossflur vor der Kellertür. Die Hitze setzte dem armen Fellträger auf Dauer ziemlich zu.
Seifferheld kratzte sich an der Nase, überlegte, ob er jetzt aktiv werden sollte, wischte sich den Schweiß von der Stirn, wackelte mit den Ohren – und stickte weiter.
Man lebt und lernt. Na, jedenfalls lebt man. (Douglas Adams)
Er hatte die Nadel gerade zwei Mal durchgezogen, da klingelte das Telefon erneut.
MaC, die sich für ihren harschen Ton bei ihm entschuldigen wollte?
Wohl kaum.
»Siggi! Ich hab ihn gesehen!« Bauer zwo klang begeistert. War einer seiner Helden in der Stadt? Jean-Claude Van Damme? Vin Diesel? Dieter Bohlen?
»Wen?« Seifferheld ließ den Stickrahmen sinken und ergab sich in sein Schicksal.
»Den Finger!«
Jetzt hätte ein Tusch erklingen müssen.
Seifferheld war aber auch so hellwach.
»Den abgetrennten Finger des indischen Kulturattachés? Ich komme!«
Zu Seifferhelds Verteidigung muss gesagt werden, dass ihn kein billiger Katastrophentourismus trieb. Aber wenn der Finger hier in Schwäbisch Hall abgegeben worden war, dann hieß das doch, dass der Entführte auch noch
Weitere Kostenlose Bücher