Finger weg Herr Doktor!
Taschentuch zu suchen, hörte er eine weibliche Stimme seinen Namen rufen.
»Ah, die Oberschwester.« Er kehrte in die Halle zurück und lächelte tapfer. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin so froh, daß ich Sie erwischt habe. Es ist wegen Schwester Smallbones.« Sir Lancelot runzelte verwundert die Stirn. »Vielleicht erinnern Sie sich: als Sie gestern ins Spital kamen, haben Sie doch ihren Rock zu kurz gefunden?«
»Das habe ich in der Tat«, sagte er mit Nachdruck. »Von mir aus können unsere jungen Damen, wenn sie dienstfrei haben, ihre erogenen Zonen in den Straßen Londons zu Markte tragen. In St. Swithin aber sind sie Krankenschwestern und nicht Zugnummern von Striptease-Etablissements.«
»Ich hoffe sehr, daß Schwester Smallbones jetzt Ihre Billigung findet.« Das Mädchen stand wie ein Schäfchen hinter ihr. »Sie hat ihren Rock bis zu den Knöcheln ausgelassen.«
»Vorzüglich.« Er nickte lebhaft. »Solche Kleider trugen die Schwestern in meiner Jugendzeit, und ich sah wirklich keine Notwendigkeit, sie zu ändern. Die Patienten in unseren Sälen möchten einmal in ihrem rauhen Leben die Lieblichkeit der weiblichen Anmut spüren und nicht den Sex. Kein weibliches Wesen im Fernen Osten würde je den Rock oberhalb der Waden tragen...«
Er verstummte. Wieder bedeckte er seine Augen. »Mein liebes Mädchen«, fuhr er, zu Schwester Smallbones gewandt, mit weicher Stimme fort, »bitte tragen Sie Ihre Kleider so kurz oder so lang Sie wollen. Servieren Sie den Patienten das Essen splitternackt, wenn es Ihnen danach zumute ist. Ich fürchte nur, Sie würden unsere altmodischen Säle etwas eisig finden. Was macht es schon aus, ob Ihre Kleider bis zu den malleoli oder dem symphysispubis reichen? Das ist eben Mode, reinste Trivialität. Und wir vergeuden unser kurzes Leben mit so banalen Dingen. Zurück zu Ihren Pflichten, Schwester Smallbones! Und Gott segne Sie, mein Kind.«
»Ist dir nicht gut, Lancelot?« fragte Tottie verblüfft.
»Doch. Das ist das Traurige daran.« Sir Lancelot reckte tapfer sein bärtiges Kinn in die Luft. »Ich habe nur noch sechs Monate zu leben.«
»Nein!«
»Der Dean hat soeben die Diagnose gestellt. Als Internist seines Kalibers hat er sich wohl kaum geirrt.«
»Aber... was ist es?«
»Eine obskure asiatische Krankheit. Der Name würde dir nichts sagen. Aber sie hat ganze Städte in China ausgelöscht - freilich bewahren Mao Tse-tung und seine Leute tödliches Schweigen darüber.«
»Tottie zog ein spitzenbesetztes Taschentuch hervor und betupfte damit die Augenwinkel. »Oh, Lancelot! Aber du bist so jung.« Sie machte eine Pause. »Für mich zumindest.«
»Tottie, willst du morgen mit mir zu Abend essen gehen? Im Gedenken alter Zeiten?«
»Ja, gem. Wie könnte ich dir etwas abschlagen!«
»Ich hol’ dich hier um sieben ab. Oder um die Ecke? Vielleicht ist es dir aus Gründen der Diskretion lieber?«
»Ich glaube, so wäre es besser.«
»Ich werde mich bemühen, es uns so heiter wie möglich zu machen«, versicherte er ihr galant. »Übrigens, der lange Rock dieses Mädchens, das sollte wohl ein Witz sein?« Tottie nickte lächelnd. »Das dachte ich mir. Aber sollen die jungen Leute nur ihren Spaß mit mir haben, solange sie noch können.«
Sir Lancelot stürzte die Haupttreppe hinunter und kletterte in den Rolls, der haargenau vor der weißen Aufschrift PARKEN VERBOTEN stand. Auf seiner Fahrt durch den Hof in Richtung Gittertor beschleunigte er rasch. Unglücklicherweise bog gerade in diesem Augenblick ein kleiner alter Wagen, der offenbar nur noch durch ein paar Streifen Heftpflaster zusammengehalten wurde, in das Tor ein. Es gab einen lauten Krach, und das kleine Auto schien in seine Bestandteile zu zerfallen.
Wütend stieg Sir Lancelot aus. »Sie Idiot! Sie Kretin! Sind Sie sich im klaren darüber, daß Sie fast meine Karosserie zerkratzt hätten?«
»Haben Sie mein lautes Hupen nicht gehört?« entgegnete Terry Summerbee entrüstet.
»Diskutieren Sie nicht mit mir, Bursche! Ich habe durch dieses Tor immer Vorfahrt. Sie kenne ich doch?« Sir Lancelot faßte ihn schärfer ins Auge. »Sie sind einer von den Studenten. Also, wenn Sie so operieren, wie Sie Auto fahren, werden Sie das Problem der Überbevölkerung in Kürze gelöst haben.«
»Ich lasse mich von niemandem einschüchtern, Sir«, erklärte Terry mit Nachdruck. »Es war Ihr Fehler, das wissen Sie sehr gut.«
»Wie können Sie es w a g e n? Es war genug Platz von hier bis China -«
Sir Lancelot
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