Fingermanns Rache
beiden Einzigen, die von der Entführung wissen. Du kannst sie noch mal darauf hinweisen, dass das auch so bleiben soll. Herr Mendel wird dich unterstützen.«
»Da freu ich mich aber«, entgegnete Bakker und verschränkte seine Arme.
»Marion, Sie beschäftigen sich weiterhin mit Wilbur Arndt. Forschen Sie in seiner Vergangenheit. Suchen Sie nach Verbindungen zur Unterwelt und zu Fabian Flaig. Hier hat sich ja noch nichts ergeben, oder?«
»Nein. Die Nachforschungen gestalten sich allerdings auch etwas schwierig. Herr Arndt ist nicht gerade sehr kooperativ.«
»Nicht kooperativ! Na, das ist aber nett gesagt«, ereiferte sich Bakker. »Ein Säufer ist der alte Sack. Als wir ihn gefunden hatten, mussten wir ihn erst acht Stunden in die Ausnüchterungszelle stecken. Davor war er nicht einmal fähig, seinen Namen richtig auszusprechen. Solche Typen liebe ich. Leben auf unsere Kosten und kotzen die Gehsteige voll. Willst du ihnen eine Arbeit geben, hauen sie ab oder finden tausend Gründe, warum sie mit dem Leben nicht zurechtkommen. Einmal war es die Frau, die sich einen anderen gesucht hat, dann der Vater, der nicht mit zum Fußball gegangen ist, und dann der Kanarienvogel, der zu früh das Zeitliche gesegnet hat. Alles Heuchler, alles Sozialschmarotzer.«
Marion Tesic entgegnete: »Ein Obdachloser hat es nicht gerade leicht. Viele sind durch ernsthafte Schicksalsschläge aus der Bahn geworfen worden.«
»Weibergeschwätz. Denen gehört mächtig Bescheid gestoßen. Die muss man zur Arbeit zwingen. Wenn die mal den ganzen Tag geschuftet haben, lösen sich ihre Probleme von alleine auf.«
»Du scheinst in der Frage ja ein Experte zu sein.«
»Darauf kannst du einen lassen. Wenn ich was zu sagen hätte, würde ich da aufräumen.«
»Karl, wir haben wirklich gerade andere Probleme«, sagte Schorten genervt und wandte sich Mendel zu. »Kai, bitte holen Sie Herrn Arndt.«
»Das mache ich.« Trotz seiner Körperfülle sprang Bakker behände auf und verschwand schon durch die Tür.
*
Bakker atmete schwer, als er im Keller ankam. Man hatte Wilbur Arndt eine Abstellkammer freigeräumt, damit er immer zur Verfügung stand. Bakker grüßte den zu seiner Bewachung abgestellten Polizeibeamten und öffnete die Tür, ohne anzuklopfen. Der Obdachlose lag auf einem Feldbett in der Ecke und schlief. Sein Kopf war zur Seite gedreht, und langes, strähniges Haar bedeckte sein Gesicht, das von tiefen Furchen durchzogen war. In der Hand hielt er eine leere Rotweinflasche, die er von Schorten bekommen hatte. Es war der Lohn für seine Arbeit.
Bakker trat mit dem Fuß gegen das Bett und schrie: »Los, raus jetzt, Schorten wartet.«
Wilbur Arndt kam nur langsam zu sich. »Was ist denn los?«, stammelte er.
»Mann, stinkt’s hier. Wie kann man in so einem Gestank nur leben?« Bakker trat noch einmal gegen das Bett, dann machte er sich am Kellerfenster zu schaffen.
»Ich bin freiwillig hier, Sie können mich mal.« Arndt drehte sich zur Wand.
Inzwischen hatte Bakker das Fenster geöffnet und sagte: »Und jetzt gehen alle Freiwilligen über Bord.« Mit beiden Händen packte er das Gestell des Betts und kippte es um.
»Arschloch.« Arndt stand umständlich auf. Ein fadenscheiniger Pullover betonte seine erschreckend dünne Gestalt.
Bakker war sofort bei ihm und schnappte ihn am Kragen. Der Obdachlose schaute mit entzündeten Augen zu Bakker auf. Kleine Schürfwunden verunstalteten seine Haut, ein verfilzter Vollbart wucherte in seinem Gesicht.
»Du hast drei ›Arschloch‹ zur Verfügung. Mit dem jetzt genannten sind es nur noch zwei. Wenn alle aufgebraucht sind, breche ich dir sämtliche Knochen.«
Arndt rülpste Bakker direkt ins Gesicht. Dann zeigte er ein boshaftes Grinsen und sagte: »Arschloch.«
Der Hauptkommissar holte zum Schlag aus, doch dann musste er ebenfalls grinsen. »Das war nicht schlecht, Arndt, das war gar nicht schlecht. Aber ich hab ein Elefantengedächtnis, und ich kann zählen, vergiss das nicht.«
Bakker ließ Arndt los und schaute auf den Tisch neben dem verbeulten Spind. »Was haben wir denn da?«, fragte er und nahm eine aus Draht geformte Skulptur in die Hand. Entfernt erinnerte sie an einen Menschen mit grotesk verdrehten Gliedern, um dessen Hals eine Schlinge lag.
»Stellen Sie das wieder zurück«, sagte Arndt.
»Soll wohl Kunst sein?«
»Nein, es ist nichts.«
»Na dann.« Bakkers Hand umschloss die Skulptur, die darin beinahe verschwand.
»Tun Sie das nicht, bitte«, beschwor
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