Fingermanns Rache
aufgeht.«
»Welcher
Plan?«
»Tun Sie
doch nicht so ahnungslos.«
Meyer besah
sich die Leute an den Tischen ringsum. Junge Menschen vor allem: Mädchen in
knappen Röcken und Shorts und Jungs in karierten Bermudas, die alle Kette
rauchten und sich über irgendwelche Projekte unterhielten.
Vermutlich
Studenten, dachte Meyer. Die Hochschule der Künste lag schräg gegenüber an der
Hardenbergstraße. Und auch die Technische Universität. Aber waren jetzt nicht
Semesterferien?
Ein hagerer
junger Mann fiel auf, weil er lange Koteletten trug, wie sie längst aus der
Mode waren, und mit seltsam hoher Stimme verkündete, dass er das Motto der
diesjährigen Loveparade besonders gelungen finde: »My
house is your house and your house is mine.«
Interessant
fand Meyer das, auch wenn er nicht wusste, wovon der junge Mann genau sprach.
Eine Liebesparade? Was sollte das sein? Mein Haus ist
dein Haus und dein Haus gehört mir. Mhm. Das passte immerhin. Vielleicht hatte diese Cordula ganz
recht. Vielleicht sollte er wirklich zweigleisig fahren.
Der
Sozialismus war nicht tot, das Motto der Loveparade verriet es, und insgeheim
hielt auch Meyer von den Plänen der Russen nicht all zu viel. Das roch zu sehr
nach Gewalt und Unterdrückung, auch wenn sich einige Genossen in Berlin sehr
viel davon erhofften. Letztlich würde man der gerechten Sache schaden. Die Welt
würde aufschreien, und wer konnte schon garantieren, dass das Vorhaben der
Sowjets, selbst wenn sie in Moskau Erfolg hätten, in Berlin Auswirkungen haben
würde? – Niemand. Marxisten und Leninisten stünden erneut als
stalinistische Freiheitsunterdrücker da, die mit Gewalt den Menschen ihren
Willen aufzwingen wollten. Andererseits musste in Moskau etwas passieren, so
jedenfalls konnte es nicht weitergehen. Die einst so stolze U d SSR ,
sie war unter Gorbatschow zum Bittsteller geworden und zerfiel vor den Augen
der Weltöffentlichkeit.
»Hören Sie,
Meyer«, unterbrach Cordula seine Gedanken, »dass Sie Freigänger geworden sind,
nach nur knapp einem Dreivierteljahr Haft, geschah nicht ganz zufällig. Man
kennt Sie. Man schätzt Ihre Fähigkeiten. Sie sollten kooperieren.«
»Und was
bringt mir das?«, fragte er grimmig. »Freiheit, Rehabilitation? Die
Siegerjustiz der BRD hat mich verurteilt, obwohl
ich nur meinen geschworenen Eid erfüllt habe: die Deutsche Demokratische
Republik allzeit zu verteidigen!«
»Die DDR existiert nicht mehr.« Jetzt war sie es, die seinen Arm nahm. »Ich bin doch auf
Ihrer Seite, Meyer. Ich weiß, dass unsere sozialistische Staatengemeinschaft
das Korrektiv in einer ungerechten Welt war. Ohne uns hätte es die soziale
Marktwirtschaft nie gegeben. Der sogenannte gute Kapitalist des deutschen
Westens, der seine Mitarbeiter an Gewinnen beteiligte und wie eine Familie
behandelte, war ein Produkt unserer sozialistischen Politik. Weil wir da waren:
ein Staat der Arbeiter und Bauern.«
»Die hatten
hier schlichtweg Schiss vor der nächsten Revolution«, regte sich Meyer auf.
»Jetzt gibt es uns nicht mehr, und der Kapitalismus ist seine Fesseln
losgeworden. Warten Sie mal ab, was das für die Menschen hier bedeutet! Bald
werden sie ihre gute alte BRD nicht wiedererkennen. Statt
Sozialstaat Hungerlöhne und Ausbeutung pur für die Gewinnmaximierung einiger
weniger. Da braucht das arbeitende Volk dann bald zwei, drei oder vier Jobs, um
sich einigermaßen über Wasser zu halten. Der Manchesterkapitalismus erlebt eine
Renaissance«, er tippte sich auf die Brust, »weil wir nicht mehr sind.«
»Aber es
gibt uns doch noch«, sie lächelte sanft, »Sie und mich und viele andere.«
»Sie?«
Meyer lachte bitter. »Sie wollen mich umdrehen!«
»Unsinn!
Ich mache meinen Job. Aber wechsele ich deshalb meine Überzeugungen?« Und
leiser fügte sie hinzu: »Auch ich habe damals einen Eid geschworen, Meyer. Aber
nicht auf die DDR . Sondern auf unsere gemeinsame Sache.«
Meyer
starrte sie an. »Da machen Sie einen Unterschied?«
»Sie etwa
nicht?« Deckname Cordula hob enttäuscht die Schultern. »Schade. Ich hätte Sie
für intelligenter gehalten.«
Klar,
dachte Meyer, diese Cordula ist eine clevere Frau. Das waren sie schließlich
alle in der HA zwo. Gute Leute. Die Frage war: Meint sie es ernst und winkt
ganz heftig mit dem Zaunpfahl, oder stellt sie mir eine Falle?
»Sie mögen
mich vielleicht für eine Romantikerin halten«, Deckname Cordula gab der
Servierkraft ein Zeichen, »aber ich glaube nach wie vor an eine gerechtere
Welt. Und die
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