Fingermanns Rache
Arndt.
»Empfindlich, was?« Bakker grinste und stellte die Skulptur zurück. »Gehen wir«, befahl er und schubste Arndt zur Tür. Der nahm noch seinen alten Armeemantel vom Haken und verließ dann mit schleppenden Schritten den Raum.
Auf halbem Weg sagte Bakker: »Warte hier. Ich hab noch etwas vergessen.« Bakker ging zurück in den Keller. Die Skulptur beunruhigte ihn, er wusste nicht, warum. In der Abstellkammer angelangt, nahm er das Gebilde, warf es auf den Boden und zermalmte es mit seinem Absatz.
»Schon besser«, raunte er.
*
Zeitgleich betraten Bakker, Marion Tesic und der Obdachlose Schortens Büro. Tesic hielt eine Mappe hoch und sagte: »Die Stimmanalyse Ihres Gesprächs mit dem Entführer.«
»Lassen Sie hören«, ordnete Schorten an.
»Also, der Stimme wurden modernste Verzerrer vorgeschaltet. Somit kann die eigentliche Stimme nicht herausgefiltert werden. Hierzu bräuchten unsere Spezialisten mehr Material. Was sie bisher sagen können, ist: Es handelt sich um eine männliche Person im Alter zwischen vierzig und fünfundsechzig. Die Person spricht akzentfrei und ist somit ein Deutscher oder jemand aus dem deutschsprachigen Raum. Im Hintergrund ist ein Brummen zu vernehmen, das von einem Generator oder Ähnlichem stammen könnte.«
»Ein Generator.« Schorten zog den Ausdruck des Erpresserbriefes hervor und las die Stichworte zu Arndts Geschichte laut vor: »Heizungsrohre, Signallampe, Maske, Handschellen, Vater, Labyrinth, Kontrollraum, Schmerz, Erkenne dich selbst, die Freiheit ist in uns, Loki.« Schorten blickte auf und sagte: »Vielleicht liefert der Entführer uns mit den Wörtern Heizungsrohre und Kontrollraum einen Hinweis. Verrückt genug ist er anscheinend.«
»Ein Kraftwerk oder etwas in der Art?«, fragte Tesic.
»Warum auch nicht.« Schorten wandte sich Wilbur Arndt zu, der in gebückter Haltung neben Bakker stand. In seinem langen Mantel und den ausgebeulten Stoffhosen erinnerte er Schorten an jemanden. Eine Person auf einem Bild, fuhr es ihm durch den Kopf. Wenn ich nur wüsste, wer? Kurz hielt Schorten inne, dann löste er seinen Blick von der gebückten Gestalt und sagte: »Kai, bitte holen Sie Herrn Arndt einen Stuhl.«
»Er kann meinen haben«, entgegnete Mendel eilfertig.
Unter Bakkers missbilligendem Blick ließ Arndt sich ächzend nieder.
»Herr Arndt«, eröffnete Schorten. »Sie haben uns ja eine schöne Geschichte geschrieben und in manchen Dingen Ihrer Phantasie freien Lauf gelassen. Was mich interessiert: Als Sie die Räumlichkeiten geschildert haben, hatten Sie da etwas Konkretes im Sinn?«
»Nun, so ein Kraftwerk würde schon passen. Aber ich hab’s mir einfach ausgedacht. Ich war noch nie in so einer Anlage.«
»Und das mit der angenehmen Stimme?«
»Künstlerische Freiheit. Ist doch mal was anderes. Aber mal unabhängig davon: Es wäre Zeit für ein bisschen Medizin.«
»Sie hatten doch erst«, sagte Schorten.
»Die Maschine muss geölt werden. Schauen Sie mal meine Hände an.«
Schorten war das Zittern nicht entgangen. »Also gut. Kai, holen Sie ihm bitte was«, sagte er.
»Das halt ich nicht aus«, brauste Bakker auf.
»Karl, wenn es dir nicht passt, dann geh in dein Büro.« Schorten war eine Nuance lauter geworden.
Mendel fragte: »Und was soll’s denn sein?«
Arndt antwortete: »Brandy, bringen Sie Brandy. Das Zeugs aus Spanien und am besten gleich sechs Flaschen.«
Schorten nickte Mendel zu. Bakker konnte kaum an sich halten und stapfte wutentbrannt aus dem Zimmer.
Unbeeindruckt von Bakkers Verhalten nahm Schorten das Gespräch wieder auf: »Woher wissen Sie, dass der Vater von Fabian Flaig früh gestorben ist?«
»Ich weiß gar nichts. Das hat einfach so gepasst.«
»Herr Arndt«, Schorten beugte sich etwas vor, »Sie gehören zum Kreis der Verdächtigen. Warum sollte der Entführer Sie als seinen, sagen wir, Ghostwriter einsetzen, ohne daraus einen Vorteil zu ziehen?«
»Sie meinen, wir stecken unter einer Decke? Na, wunderbar. Aber soll ich Ihnen was sagen? Ich hab das nicht nötig, ich brauch den ganzen Scheiß – Geld, Ruhm oder was auch immer – nicht.«
»Lassen wir das vorerst.« Schorten richtete sich wieder auf. »Kommen wir zu Ihrer Geschichte zurück. Glauben Sie wirklich, dass der Entführer nicht vorhat, Herrn Flaig freizulassen?«
Arndt hob hilflos seine Hände. »Herr Hauptkommissar, noch einmal zum Mitschreiben: Von den tatsächlichen Vorgängen habe ich überhaupt keine Ahnung. Wie oft soll ich das noch sagen?
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