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Fingermanns Rache

Fingermanns Rache

Titel: Fingermanns Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Weiglein
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füllte er mit unsichtbarer Tinte ein Blatt um das andere. Das letzte Kapitel sei noch nicht geschrieben, behauptete er. Es gestalte sich äußerst schwierig, da seine Protagonistin sich verselbstständigt hätte.
    *
    Ein halbes Jahr nach Arndts Verhaftung wurde der pensionierte Hauptkommissar Schorten in Thailand tot aufgefunden. Seine Frau, die mit ihm auf Urlaubsreise war, wurde der Tat dringend verdächtigt. Die deutschen Behörden wurden eingeschaltet. Da Marion Tesic nicht zur Verfügung stand, wurde Peter Illsen mit dem Fall betraut.
    *
    Kurz darauf starb der für Arndt zuständige Psychiater auf mysteriöse Weise. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Mordverdachts. Arndt gehörte zu den Hauptverdächtigen, doch konnte ihm nichts nachgewiesen werden. Die Einzige, die diesen Fall aufklären könne, sagte Arndt zu Kai Mendel, sei Marion Tesic. All die anderen Ermittler, einschließlich seiner, seien blutleere Figuren, deren Denken nicht über das Blatt hinausreichen würde, das er gerade beschrieb. Bei der Tesic sei das anders. Ihr würde er seine vollkommene Unterstützung zukommen lassen, wenn sie nur mit ihm reden würde.
    Marion Tesic kam nicht, und Arndt begann, das Ende ohne sie zu formulieren. Zwar habe er sich einen anderen Schluss gewünscht, aber manche Geschichte entwickele eine Eigendynamik, der sich selbst der Autor beugen müsse.
    *
    Arndts Flucht war überstürzt. Die Kleider an seinem Leib waren sein einziger Besitz, als er ins Freie trat. Hier wollte Arndt einen Schlusspunkt setzen. Doch er zögerte – das Ende ließ viele Fragen offen, vielleicht zu viele. An Hinweisen mangelte es nicht. Es lag allein an ihm, die Geschichte fortzusetzen. Wenn er beispielsweise das Schließfach nicht räumte, würden die Ermittler reagieren. Die Gefahr, dadurch das ganze Projekt zu gefährden, war groß. Ebenso groß war die Gefahr eines unfertigen Schlusses. Arndt schlug den Kragen seines Mantels hoch. Er hatte sich entschieden.

Ein letzter Versuch
    Anfang Juni, zwei Monate nach Arndts Flucht
    Marion Tesic saß auf Josh Petersens Veranda und starrte auf die Ostsee. Irgendwo da draußen war Josh und versuchte seiner Vergangenheit zu entfliehen – der arme Kerl kam nicht zur Ruhe. Marion seufzte und wandte sich wieder dem Naturführer Hiddensee zu. Sie hatte noch viel über Flora und Fauna zu lernen. Ihr Ziel war es, für den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft geführte Wanderungen durchzuführen, doch dazu reichte ihr Wissen über Hiddensee noch nicht. Was sie bisher tun konnte, war, sich um Joshs Fahrradverleih – sieben Räder mit Dreigangschaltung und leichtem Flugrost – zu kümmern und Lotte, seiner Schwägerin, bei den täglich anfallenden Arbeiten zu helfen. Nicht besonders viel für jemanden, der einen aufreibenden Job gewohnt war. Sie langweilte sich, und – was erheblich schwerer wog – ihr Geld ging allmählich aus. Die acht Monate in Australien und Neuseeland waren teuer gewesen und ihre Einkünfte auf Hiddensee sehr bescheiden. Josh meinte, sie sollte sich über ihre Finanzen keine Sorgen machen – zur Not hätte er immer was in Reserve. Der gute Josh, Marion lächelte, der könnte auch mit einer Angelrute und einer Hütte am Strand überleben. Sie hingegen sah, wie ihr Konto sich leerte und ihre Rentenvorsorge auf Eis lag. Auf absehbare Zeit musste sich etwas ändern.
    Ein ungewöhnliches Geräusch ließ sie aufhorchen, ein Geräusch, das aus Joshs Wohnstube kam und nicht in seine Welt passte. Marion betrat die Stube, das Geräusch wiederholte sich, es war das Klingeln des Wandtelefons. Seltsam, alle Anrufe liefen über Lottes Apparat – dieser Anschluss schien tot zu sein. Zögerlich näherte sie sich dem Telefon. Es klingelte ein weiteres Mal. Marion nahm den Hörer ab. Ungewohnt schwer und mit einer dünnen Staubschicht überzogen, lag er in ihrer Hand. Einen kurzen Moment verharrte sie, dann legte sie die Muschel an ihr Ohr und meldete sich mit einem vorsichtigen »Ja?«.
    »Hallo, Marion.«
    »Wer spricht da?«
    »Kai. Kai Mendel.«
    Marion atmete hörbar auf – sie hatte mit jemand anderem gerechnet. »Kai, schön dich zu hören. Woher weißt du, dass ich hier bin? Wie bist du an diese Nummer gekommen?«
    »Bei der Polizei hat man so seine Möglichkeiten, das weißt du doch.«
    Marion begnügte sich mit der Antwort. »Und, warum rufst du an?«
    »Dass Wilbur Arndt im April ausgebrochen ist, hast du gehört?«
    »Ja. Selbst hier kann man sich der Welt nicht

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