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Fingermanns Rache

Fingermanns Rache

Titel: Fingermanns Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Weiglein
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die Abendsonne einfing. Wie hatte sie das nur beim Verhör vergessen können, wie konnte sie sich nur so sehr verunsichern lassen? Müde und dennoch gierig nahm sie ihre Umgebung wahr. Alles entsprach ihrer Erinnerung, manches war ihr zwar nie aufgefallen, aber das war normal, wenn man den Blick schärfte.
    Auf einer Werbetafel wurde für www.brings-zu-ende.de geworben. Noch immer fanden sich etliche, die Arndts Geschichte zu Ende erzählen wollten.
    Das Taxi hielt. Marion gab ein großzügiges Trinkgeld. Langsam ging sie durch den Flur, der in den Innenhof führte. Das ist also mein Zuhause, dachte sie und tastete nach ihrem Hausschlüssel. Eine Kinderschar rannte an ihr vorbei zu dem kleinen Spielplatz mit Schaukel und Rutsche. Warum grüßen die mich nicht? Die müssen doch aus dem Haus sein, dachte Marion.
    Die Tür zum Hinterhaus war nicht verschlossen. Im Parterre hing eine lange Reihe verschlissener Metallbriefkästen. Ihr Name stand auf dem dritten von rechts. Die Stufen waren ausgetreten und knarrten. Marion zog sich am Handlauf hoch; bis zum vierten Stockwerk war es weit.
    Auf der Treppe kam ihr eine alte Dame mit leuchtend rot gefärbtem Haar entgegen. Sie trug ein langes schwarzes Kleid und einen eleganten Umhang in der Farbe ihrer Haare. Wie war noch mal ihr Name? Marion kramte in ihren Erinnerungen, die Frau passierte sie, ohne sie zu beachten. Marion sagte: »Hallo, Frau …«
    Die Dame drehte sich um und lächelte verlegen. »Ach, hallo, Kindchen«, entgegnete sie mit leicht russischem Akzent. »Jetzt habe ich Sie gar nicht erkannt; verdammte Eitelkeit. Ich sollte ohne meine Brille einfach nicht auf die Straße gehen. Ich bin gerade auf dem Weg zu einer Vernissage. Die Vasillis stellt aus. Soll ganz toll sein. Das müssen Sie sich unbedingt auch mal ansehen.«
    »Werde ich machen, ganz sicher. Schönen Abend noch, Frau, äh, Linkowa«, erleichtert nannte Marion ihre Nachbarin beim Namen.
    An Marions Schlüsselbund hingen drei Schlüssel. Unentschlossen stand sie vor ihrer Haustür. Du musst doch wissen, welcher es ist, mahnte sie sich und massierte ihre Stirn. Können diese Tabletten zu Aussetzern führen?, fragte sie sich. Hätte ich zum Arzt gehen sollen? Bin ich hier richtig? An der Tür stand ihr Name, warum zweifelte sie, warum kam ihr alles so fremd vor? Warum ließ sie sich von Arndt so aus der Bahn werfen? Frau Linkowa hatte sie erkannt. Alles war stimmig, es gab keinen Grund, beunruhigt zu sein.
    Entschlossen nahm Marion einen der Schlüssel. Er passte. Automatisch zog sie die Tür zu sich heran, da sie seit dem letzten Wasserschaden klemmte. Die Tür schwang auf, und im gleichen Moment erlosch das Licht im Hausgang. Marion blieb im Türrahmen stehen. Abgestandene Luft quoll ihr entgegen – wie lange war sie weggewesen? Sie betätigte den Lichtschalter. Es blieb dunkel. Marions Haltung versteifte sich. Vorsichtig zog sie ihre Stabtaschenlampe hervor, ihre Waffe hatte sie nicht dabei. Der Lichtkegel tastete den Flur ab. Rechts der Schuhschrank, daneben das Regal mit den ungelesenen Zeitungen. Links der Kunstdruck von Erach, der im Halbdunkel seine Wärme verlor. Marion betrat ihre Wohnung, der Läufer dämpfte ihre Schritte.
    Ein Lichtschein erweckte ihre Aufmerksamkeit. Er fiel durch den Türspalt zum Wohnzimmer. Marion öffnete die Tür. Der vertraute große Raum mit hohen Fenstern und nur wenigen Möbelstücken. Die schweren Vorhänge waren zugezogen. In der Ecke zu den Fenstern hin die gebogene Stehlampe, deren Strahler auf einen flachen Gegenstand zeigte. Der Gegenstand lag auf dem Boden. Marion trat näher. Für einen Moment drohte sie die Fassung zu verlieren: Wilbur Arndt starrte sie von dem Plattencover der Jethro-Tull- LP an.
    »Wer war für dich hier?«, flüsterte sie und drehte das Cover. Auf der Rückseite ein verändertes Bild. Arndt saß in seinem Armeemantel an einem altertümlichen Schreibtisch. Seine Augen starrten sie an. Quer über dem Bild stand:
    DU ENTKOMMST MIR NICHT !

Begrenzte Macht
    Ihr Zufluchtsort war ein anonymes Hotel. Im Fernsehen lief eine Dauerwerbesendung ohne Ton. Marion lag auf dem Bett und starrte an die Decke.
    Er hat mir meine Wohnung, mein Privatleben geraubt, dachte sie. Was bleibt da von einem Menschen noch übrig? Die Kopfschmerzen holten sie wieder ein. Marion tastete nach dem Tablettenröhrchen. Es war leer. Du musst dich ausruhen, versuch zu schlafen, mahnte sie sich. Morgen sieht alles besser aus.
    Marion schaltete den Fernseher aus. In der

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