Fingermanns Rache
ermöglicht haben.«
»Jetzt bin ich aber gespannt.«
»Zu Recht. Diese Frage hat uns alle beschäftigt. Sein Bruder Loki ist der Schlüssel. Mit Arndts Unterlagen konnten wir seine Biografie rekonstruieren. Wir wissen, dass er in Frankfurt gelebt hat und dass er bei der Deutschen Bank Investmentbanker war, bis er sich selbstständig gemacht hat. Seine ehemaligen Kollegen sagen, er hätte die seltene Gabe besessen, aus Finanzkrisen Kapital zu schlagen. Mit der japanischen Bankenkrise habe er seinen finanziellen Grundstock gelegt. Mit der Asienkrise diesen weiter ausgebaut, und mit der Dotcom-Blase sei er reich geworden. Kurz bevor der Neue Markt vor die Hunde ging, hätte er seine Gewinne realisiert. Genau können wir sein damaliges Vermögen nicht taxieren, aber es sollten in etwa sechzig Millionen Mark gewesen sein, also dreißig Millionen Euro.«
»Wann ist die Dotcom-Blase noch mal geplatzt?«
»Im März 2000. Dieses Datum deckt sich auch mit dem Einstieg in die aktive Verwirklichung von Arndts und Lokis Racheplänen. Zuvor war es nur eine Idee Arndts, die an den nötigen Finanzmitteln gescheitert ist. Kontakt hatten die beiden seit der Wende. Sie sind, beziehungsweise waren, recht unterschiedliche Charaktere. Loki ist als der nüchterne Organisator zu sehen, der pragmatisch vorging, Arndt als der kreativ-chaotische Planer, der manchmal für einen besonderen Effekt, eine überraschende Wendung das ganze Projekt gefährdete.«
»Geht aus seinen Aufzeichnungen hervor, wie Arndt gearbeitet hat? Wie konnte er sich auf alle Eventualitäten einstellen?«
»Das lässt sich gut nachvollziehen. Allen wichtigen Unternehmungen sind Flussdiagramme angeheftet.«
»Flussdiagramme?«
»Das sind Ablaufdiagramme, die beim Programmieren verwendet werden, hast du bestimmt schon gesehen. Mit Fallentscheidungen, die in einer Raute stehen. Ein gutes Beispiel ist hier der Mord an Bakker – du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Szenarien es dazu gibt. In der Raute steht zum Beispiel: Bakker geht in den Club Asgard. Fallentscheidung ja: Die beiden Frauen des Clubs kommen zum Zug. Fallentscheidung nein: Am nächsten Tag wird ein zweiter Versuch gestartet. Diesmal mit einem gewissen Zwang, darauf hoffend, dass Bakker sich im Rausch der Sinne – damit sind wohl auch Drogen gemeint – selber richtet. Bei einem weiteren Fehlschlag wieder eine Fallentscheidung, auf die noch einige folgen. Und alle darauf abzielend, Bakker zu töten. Das Ganze in einem Zeitfenster von fünf Tagen. Es gibt verschiedene Todesarten: von der einfachen, wo er Opfer eines Verkehrsunfalls wird, bis zur aufwendigen im Club Asgard. Letztere wurde von Arndt eindeutig favorisiert. In einem handschriftlichen Kommentar gratuliert er sich selbst zu dieser genialen Idee.
Auf diese Art sind alle Ereignisse organisiert. Auch zu Tromptow gibt es unzählige Varianten. Aus Arndts Kommentaren lässt sich herauslesen, dass Loki viele abgelehnt hat, weil Arndt zu verspielt war, zu viel riskieren wollte. Dass er zum Beispiel die falsche Frau Eisen in die leer stehende Wohnung gesetzt hat, wo man doch die der echten Frau Eisen nutzen konnte, wurde von Loki abgelehnt. Es sei ein unnötiges Risiko, so wird Loki von Arndt zitiert. Arndt hat sich hier dennoch durchgesetzt und triumphiert in einer Anmerkung: ›Die Verwirrung siegt über die Vernunft. Der Leser will überrascht werden, dafür muss man einiges wagen – polnische Handwerker, die zuverlässig und schnell sind, wären eine gute Lösung.‹«
»Polnische Handwerker?«
»Ja. wir haben hierzu auf einem der USB -Sticks die Adresse eines polnischen Bauunternehmens gefunden und den Chef auch schon verhört. Nachdem wir ein bisschen Druck ausgeübt haben, hat er uns von diesem ungewöhnlichen Auftrag berichtet, der ihm enorm viel Geld gebracht hat. Er und sein Team standen auf Abruf bereit und hatten eine Nacht Zeit, die Wohnung herzurichten, und eine weitere, sie wieder zu verwüsten. Das Ganze ohne aufzufallen. Dem kam der Bauunternehmer natürlich nach – wer will schon bei der Schwarzarbeit erwischt werden?«
»Und die falsche Frau Eisen?«
»An der sind wir auch dran. Es handelt sich um eine Provinzschauspielerin, die sich auf Weltreise befindet. Vermutlich der Lohn ihrer Arbeit.«
»Alle Vorgänge lassen sich also schlüssig erklären. Dennoch bleibt die Frage offen, warum Arndts Kartenhaus bei all den Mitwissern und Hintermännern nicht eingestürzt ist.«
»Es gibt verschiedene Gründe, Glück
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