Fingermanns Rache
verschließen.«
»Hat Arndt sich bei dir gemeldet?«
»Nein. Sonst hätte ich euch längst informiert. Es ist, wie ich damals gesagt habe: Arndt interessiert sich nur für die Polizistin Tesic, die Privatperson ist ihm egal. Er ist aus meinem Leben verschwunden, endlich kann ich wieder frei atmen, und das soll auch so bleiben. Falls du mit mir also über Arndt reden willst – vergiss es. Ich werde sofort auflegen.«
»Nicht so voreilig, Marion. Wir haben Ermittlungserfolge, die Arndt entzaubern und für dich die Dinge wieder zurechtrücken können.«
»Ihr habt konkrete Ergebnisse?«
»Ja.«
Marion schloss ihre Augen. Alles, was sie so mühsam verdrängt hatte, war wieder da. Noch konnte sie sich retten, sie musste nur auflegen. Stattdessen fragte sie: »Habt ihr sein Netzwerk aufgedeckt? Kennt ihr die Hintermänner?«
»Ja. Zumindest zum Teil. Aber wir stehen erst am Anfang. Um alles schildern zu können, muss ich etwas ausholen. Hast du Zeit?«
»Zeit?« Marion seufzte. »Ich habe alle Zeit der Welt.« Der ironische Unterton in ihrer Stimme ärgerte sie. Marion zog sich einen Stuhl heran und setzte sich – ein Telefon mit Schnur war gewöhnungsbedürftig.
»Arndts Flucht aus der Psychiatrie war nicht perfekt geplant. Er musste vieles zurücklassen. Unter anderem einen Schließfachschlüssel, der uns zu zwei Reisetaschen führte, die fünfzehn Ordner, eine Menge CD s und USB -Sticks enthielten. Die gesamte Dokumentation seiner Verbrechen.«
»Heißt das, wir können alle offenen Fragen klären?« Jetzt färbten Neugier und Euphorie Marions Stimme. Ob Mendel das »wir« in ihrer Frage aufgefallen war? Wie schnell sie doch in die alte Routine verfiel.
»Im Prinzip schon. Aber die Sache ist nicht so einfach. Du kannst dir nicht vorstellen, wie chaotisch Arndts Aufzeichnungen sind. Die Ordner sind nicht nummeriert, und der Inhalt ist auch nicht chronologisch sortiert. Wir haben unzählige Computerausdrucke, die von Hand überarbeitet wurden. Manche Absätze sind mehrmals geändert worden, immer in einer anderen Farbe. Namen wurden ausgetauscht, Personen herausgestrichen oder hinzugefügt. Oftmals wurde ein neuer Ausdruck angeheftet mit Querverweisen auf den alten, oder der Querverweis galt einem anderen Blatt, einem anderen Ordner. Ganz klar ist der Bezug nicht, da sich Seitenzahlen mehrmals wiederholen. Natürlich haben wir auch unzählige Fotos von Personen. Viele sind bekannt, die anderen jagen wir durch die Datenbank. Wir haben Baupläne und Gehaltslisten, wir haben Lebensläufe und Zeitungsartikel. Was relevant ist und was nicht, lässt sich kaum sagen, die Fülle der Informationen erschlägt uns. Eindeutig ist aber, das Arndts Racheplänen ein Manuskript vorausging.«
»Ein Manuskript? Wollte Arndt ein Buch schreiben?«
»Ja. Arndt hatte zu Beginn der Achtziger die Idee zu einem Roman. Ein Roman, der die Geschehnisse im Kinderheim Die Brücke anprangert. Auf wahren Begebenheiten beruhend, aber mit einer fiktiven Handlung, die den Wärterinnen die gerechte Strafe zukommen lässt. Das Konzept des Romans ist dir hinlänglich bekannt: Am Anfang steht eine Entführung, die in einer Zeitung als Fortsetzungsroman veröffentlicht wird. Es folgen die verwirrenden Ereignisse in Tromptow und der Tod eines Polizisten. Natürlich tritt auch der Obdachlose auf, der alle Fäden in der Hand hält. Die ganzen Geschehnisse zielen darauf ab, die Staatsanwältin zum Auftragsmord zu verleiten, was sowohl im Roman als auch in der Realität geklappt hat. Daneben steht die Geschichte der zweiten Wärterin, die von Cora Bürk. Das Einschleichen in ihr Privatleben, ihre Verführung, das süße Gift einer vorgetäuschten Liebe und dann der Zusammenbruch: das wahre Gesicht ihres Liebhabers, die Entführung und das Gefangensein in den Katakomben des Flughafens Tempelhof. Darauf folgt der Auftritt des Obdachlosen, der sie zu Tode ängstigt und dann in ihr mieses Leben entlässt, damit sie zu guter Letzt ihren Mann ermordet.«
»Schorten … Es tut mir leid um ihn. Ich habe ihn trotz allem gemocht. Von seinem Tod habe ich erst auf Hiddensee erfahren. Auch, dass Cora Schorten verdächtigt wurde. Hat sie ihn tatsächlich ermordet?«
»Ja. Sie wurde von Illsen überführt. In den nächsten Wochen steht die Verhandlung an.«
»Dann sind Arndts Pläne aufgegangen. Er hat seine Rache bekommen.«
»Sieht so aus. Doch jetzt sind wir ihm auf den Fersen. Wir wissen zum Beispiel, wie er zu den Geldern gelangt ist, die seine Verbrechen
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