Fingermanns Rache
gehört natürlich auch dazu. Aber obenan steht die enorme Geldmenge, die die Brüder investiert haben. Die Täter wurden je nach Schwere des Verbrechens bezahlt. Manche bekamen sogar eine monatliche Zuwendung, die ihre Verschwiegenheit zementierte. Das ist für uns günstig, weil wir so über die Bankverbindung an sie herankommen. Daher ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir die beiden Frauen, die an Bakkers Tod beteiligt waren, und den Architekten Bauer, Cora Schortens vermeintlichen Liebhaber, gefunden haben. Du siehst, nichts bleibt unbeantwortet. Arndt ist genial, aber letztendlich kocht er auch nur mit Wasser. Vielleicht überlegst du dir deine Entscheidung noch einmal, vielleicht gibt es eine Möglichkeit, in den Polizeidienst zurückzukehren. Sandt wäre bestimmt nicht abgeneigt.«
»Nein, Kai. Das ist vorbei. Ich fühle mich hier wohl, mir geht es gut.«
»Dann komm zumindest mal nach Berlin. Ich werde dafür sorgen, dass du Zugang zu den Akten hast. Es gibt noch so vieles zu klären. Das kannst du dir doch nicht entgehen lassen.«
»Lass gut sein, Kai. Falls ich mich anders entscheide, werde ich dich anrufen.«
»Gut.« Mendel klang frustriert. »Das hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet, aber es ist dein Leben. Mach’s gut, Marion.«
Das Freizeichen erklang. Marion starrte den Hörer an. Sie hätte gerne noch etwas erwidert.
Draußen auf dem Verandatisch lag immer noch der Naturführer Hiddensee. Marion setzte sich und schlug das Buch an der markierten Stelle auf. »Die Stranddistel ist ein seltenes Dünengewächs und wird auch Meer-Mannstreu genannt«, las sie. Ob sie nochmals schwimmen gehen sollte? Ihre glücklichsten Momente hatte sie im Meer. Aber nur schwimmen und den restlichen Tag die Zeit totschlagen, das ging nicht.
Marion versuchte sich auf die Stranddistel zu konzentrieren, dachte aber an ihre alte Berliner Wohnung. Ob man jetzt herausfinden konnte, wer damals die Schallplatte mit Arndts Nachricht in ihrem Wohnzimmer platziert hatte? Woher der Eindringling einen Schlüssel hatte und wie Arndt den Einbruch aus dem Gefängnis heraus organisieren konnte? Marion schob den Naturführer weg. Es war sinnlos. Die Verlockung, Arndts Machenschaften komplett aufzudecken und ihn am Ende zu stellen, war zu groß. Wenn sie jetzt noch jemand halten konnte, war es Josh. Hoffentlich kehrte der bald zurück.
*
Die liebste Zeit war Arndt, wenn die Ebbe den Weg zur Insel freigegeben hatte und die Flut sich wieder ankündigte. Ein zeitlich begrenzter Zugang, sonst nur mit dem Schiff machbar, jetzt zu Fuß. Er war immer unter den Letzten. Wenn das Wasser schon wieder anstieg, wenn es seine Füße umspülte, dann fühlte er sich am wohlsten. Gerade gelegte Spuren wurden sofort verwischt.
Arndt betrat den Strand der Insel, die das Meer bald wieder komplett umschloss, und stieg eine Anhöhe hinauf. Hatte er zu viel riskiert? Hatte er zu viel preisgegeben? Die Fahnder waren ihm dicht auf den Fersen, sein Netzwerk löste sich auf, und seine Anhänger wurden weniger. Für viele hatte er seinen Zauber verloren. Man hatte festgestellt, dass auch er nur mit gewöhnlichen Mitteln arbeitete. Doch auch ein Autor unterlag den Gesetzen der Logik, Beliebigkeit funktionierte in keiner Geschichte. Es gab Gesetzmäßigkeiten, denen man folgen musste. Dass die Polizei so schnelle Erfolge feierte, war konsequent. Ihr auf Dauer zu entkommen würde schwierig sein, aber es war ein gewolltes Risiko. Nicht umsonst hatte er ihnen das Schließfach überlassen. Nun war Marion Tesics Rückkehr in den Polizeidienst gut vorstellbar. Ja, er war, wenn man ihren Charakter zugrunde legte, geradezu zwingend.
Wilbur Arndt lachte und zog seine Flöte hervor. Der Wind hatte aufgefrischt und blähte seinen Mantel. Ein paar Passanten blieben stehen und lauschten dem wunderlichen Mann, der so schön spielen konnte.
Danksagung
Mein Dank gilt folgenden Freunden und Kritikern, die mich mit Rat und Tat unterstützt haben: Anja, Frank the Tank, Christof, Jutta, Mario, Jan, Moni Peperoni, Thomas.
Ein spezieller Dank geht an Ian Anderson, auch wenn er davon nie erfahren wird.
Mein größter Dank gilt Sabine.
Oliver G. Wachlin
KREUZBERG
Kriminalroman
ISBN 978-3-86358-134-3
»Wachlin hat einen fulminanten Berlin-Roman geschrieben, voller Rhythmus, Atem und Seele. Ihm gelingt, was nur wenigen gelingt: er fesselt nicht nur, er hilft zu erfassen. Das nenne ich Literatur.«
krimi-couch
Leseprobe zu Oliver G.
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