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Fingermanns Rache

Fingermanns Rache

Titel: Fingermanns Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Weiglein
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einen Flügel, der quietschend nachgab. Ein weitläufiger Saal empfing sie. Durch ein Kellerfenster am gegenüberliegenden Ende fielen scharf gebündelte Sonnenstrahlen auf eine Werkzeugmaschine mit hohem Aufbau und einem massiven Tisch. An diesem Tisch kauerte eine Gestalt, deren linker Arm in einer Vorrichtung fixiert war.
    Die beiden zogen ihre Waffen.
    »Polizei«, rief Bakker und trat einen Schritt vor.
    Ein Klicken ertönte, darauf folgte ein Surren. Dann setzte sich etwas an der Maschine in Bewegung.
    »Das ist eine Stanze«, stellte Marion erschrocken fest. Die beiden rannten gleichzeitig los. Bakker hatte einen Mechanismus ausgelöst, der den Stempel der Maschine mit einer Kraft von mehreren Tonnen auf die Hand der Person hinunterfahren ließ. Die Stanze arbeitete präzise und schnell. Auf halbem Weg hörten sie ein trockenes Knacken. Marion hielt den Atem an, doch kein Schrei war zu vernehmen.
    Sie verlangsamte ihren Schritt und blieb dann stehen. Auch Bakker stoppte. Die Lichtkegel ihrer Lampe erfassten nun das Gesicht der Person. Leblose Augen starrten sie an, ein geschminkter Mund lachte höhnisch.
    »Eine Schaufensterpuppe.« Marion schüttelte den Kopf und steckte ihre Waffe weg. Auf dem Boden lagen zwei abgetrennte Finger, ein dritter befand sich noch auf dem Tisch. An einer Wand war der Kinderreim vom Fingermann zu lesen.
    »So ’nen Scheiß hab ich noch nie erlebt. Der Typ muss krank sein«, meinte Bakker kurzatmig. »Wir müssen die Kollegen von der hiesigen Polizei verständigen. Die sollen die Spurensicherung kommen lassen.«
    »Ja«, stimmte Marion zu und machte mit ihrem Handy Fotos. »Auf das Kompetenzgerangel hätte ich gerne verzichtet.«
    Draußen rief Bakker Schorten an und informierte ihn. Dann statteten die beiden Miriam Eisen einen zweiten Besuch ab.
    *
    Bernhard Schorten war zur gewohnten Zeit auf dem Weg nach Hause. Seine Mitarbeiter waren instruiert, die Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern informiert. Der aktuelle Fall gestaltete sich sehr interessant. Man hatte es entweder mit einem Psychopathen oder einem raffinierten Verbrecher zu tun, dessen eigentliches Motiv noch im Dunkeln lag. Dass der Entführer nur auf die vermeintlichen Missstände in diesem Heim aufmerksam machen wollte, schloss Schorten aus. Die nötige Aufmerksamkeit hätte er auch einfacher haben können.
    Was seine Tochter betraf, hatte Marion Tesic recht gehabt. Maike betrieb ein Blog, eine Art Tagebuch, auf das jeder Mensch im Internet Zugriff hatte. Für ihn war es erschreckend, dass seine Tochter einem anonymen Millionenpublikum ihre intimsten Geheimnisse anvertraute, während sie mit ihm kaum sprach. Was waren das für Zeiten, wo ein Vater im Internet über das Befinden seiner Tochter nachlesen musste? Der Konsequenzen war sie sich sicher nicht bewusst. Genauso gut hätte sie ihr Tagebuch auch in einem Bahnhof verteilen können. Schorten beschloss, sie an diesem Abend noch anzurufen. Er musste sie vor weiteren Dummheiten schützen.
    Das Küchenlicht brannte nicht. Schorten stellte den Wagen in der Garage ab und schloss das Tor. Auch sonst konnte er kein Licht im Haus erkennen. Schorten betrat den Flur und rief laut den Namen seiner Frau. Keine Antwort. Er schaute auf seine Uhr. Um diese Zeit war sie sonst immer zu Hause. Das Abendessen sollte jetzt auf dem Tisch stehen. Zwar hatte er nicht angerufen, aber er rief auch nur an, wenn er länger arbeiten musste. Heute war er pünktlich. Der Abend hätte seinen üblichen Verlauf nehmen sollen. Die Tür zur Küche stand offen. Schorten machte Licht. Die Küche war aufgeräumt, auf dem Esstisch lag ein Brief.
    »Bernhard« stand, in der klaren Handschrift seiner Frau, auf dem Kuvert. Schorten öffnete es und entnahm zwei dicht beschriebene Blätter. Er setzte sich und las, was er nicht verstand.
    Magnus Westermark, der bekannte Grafologe, legte die Lupe zurück und sagte: »Tut mir leid, Bernhard. Es ist eindeutig Cordulas Schrift.« Er war sofort zu Schorten gefahren, nachdem dieser ihn angerufen hatte. Die Stimme seines Freundes hatte ihn zur Eile gemahnt.
    Schorten raufte sich die Haare. »Das kann aber nicht sein. Cordula hätte mich niemals verlassen, und sie hätte niemals so einen Brief geschrieben.«
    Westermark legte seine Hand auf Schortens Schulter. »Vielleicht klärt sich ja alles auf.«
    »Was soll sich aufklären? Das ist ja mehr als deutlich.« Schorten zeigte auf den Brief. »Aber die Art der Formulierungen, der Inhalt. Kann man da Ungereimtheiten

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