Fingermanns Rache
sprach weiter, ihre Stimme bebte. »Dich hat sie ausgenutzt und mich wie eine ihrer Porzellanpuppen behandelt: erst abgestaubt und dann ins Regal gestellt. Hauptsache, nach außen wirkt alles ordentlich.«
»Rede nicht so von deiner Mutter!«
»Ich hab das alles so satt. Ich bin so froh, dass ich weg von euch bin. Eine Familie lebt von Liebe, verstehst du das denn nicht?«
Schorten schwieg eine Weile und antwortete dann: »Liebe zeigt sich auch in gegenseitigem Respekt.«
»Dir ist nicht zu helfen«, entgegnete Maike.
Wieder entstand eine Pause. Schorten ordnete seine Gedanken, das Gespräch hatte einen ungeplanten Verlauf genommen. Mit seiner Tochter konnte man einfach nicht vernünftig reden; was wusste die schon vom Leben? Schorten besann sich und kam zu dem Punkt, der ihn Maike hatte anrufen lassen. »Cordula hat geschrieben, dass sie erst einmal Urlaub macht. Hast du eine Ahnung, wo das sein könnte?«
»Nein, aber wenn sie mit dir reden will, wird sie sich schon melden.«
»Wann hast du zum letzten Mal mit ihr gesprochen?«
»Vor zwei Tagen; ich habe Geld gebraucht.«
Mühsam unterdrückte Schorten eine Bemerkung zu Maikes unverantwortlichem Umgang mit ihren Finanzen. »Hat sie da irgendwelche Andeutungen gemacht?«
»Ja. Andeutungen hat sie schon immer gemacht. Auch dir gegenüber. Nur kannst du nicht zuhören. Du hörst nur das, was du hören willst.«
Langsam drohte Schorten, die Beherrschung zu verlieren. Trotzig sagte er: »Wenn du mir nicht helfen willst, dann lass es. Ich komm schon allein klar.«
»Das wirst du von nun an auch müssen. Bei all ihren Fehlern ist sie wenigstens konsequent. Die hat genug von eurem Scheiß-Lebensglück, die siehst du nie wieder.«
»Maike, du wirst dich jetzt sofort entschuldigen!«
Die letzten Worte Schortens hatte seine Tochter nicht mehr gehört. Sie hatte aufgelegt.
Schortens Hand umschloss den Hörer fester, seine Knöchel traten weiß hervor. Kurz war er versucht, das Telefon gegen die Wand zu schmettern, doch dann besann er sich eines Besseren. Zeit und Alter würden Maike schon Vernunft lehren. Viel wichtiger als sich über das respektlose Benehmen seiner verwöhnten Tochter aufzuregen, war es, mit Bedacht und Verstand vorzugehen.
Nachdem er mehrere Möglichkeiten durchgespielt hatte, rief er seinen Mitarbeiter Kai Mendel an. Er gab ihm zu verstehen, dass er von dessen ewigem Krankfeiern genug habe und dass er seine Karriere vergessen könne, wenn er seinen Anweisungen nicht Folge leisten würde. Irritiert, aber gefügig fragte Mendel, was er tun solle. Schorten gab ihm den Auftrag, alles über das Privatleben seiner Frau herauszufinden. Wo sie verkehre, welchen Umgang sie pflege, ob sie einen Geliebten hätte. Das alles solle er privat ermitteln, niemand dürfe davon erfahren. Weitere Fragen Mendels würgte Schorten ab.
Im Schlafzimmer seiner Frau, die beiden schliefen schon seit Jahren getrennt, stellte Schorten fest, dass zwei Koffer und ein großer Teil ihrer Garderobe fehlten. Schorten setzte sich auf ihr Bett und roch am Kopfkissen. Der Geruch kam ihm fremd vor. Wann hatte er zuletzt sein Gesicht in ihrem Haar vergraben? Tränen schossen in seine Augen. Schorten umarmte das Kopfkissen und versuchte, die Beherrschung zurückzugewinnen. »Disziplin und Würde«, die Leitlinie seines Lebens, hämmerte er sich wie ein Mantra ein. Doch es half nichts.
In dieser Nacht fand Schorten keine Ruhe. In seinem Herzen herrschte eine vollkommene Leere, eine Leere, die er durch glückliche Erinnerungen auffüllen wollte. Erinnerungen, die er nicht hatte.
Zauberhafter Regen
Wie er diesen Schwächling hasste. Da kniete er wieder. Den Sack über dem Kopf, die Hände auf dem Rücken, die Vorrichtung gespannt. Er erfüllte die Erwartungen in keiner Weise. Er kannte das Gedicht, und er hatte die Schule durchlebt. Dennoch lehnte er sich nicht auf. Loki wandte sich vom Überwachungsschirm ab. Dieses Mal würde er ihn warten lassen, sehr lange sogar. Vielleicht änderte die Verzweiflung Fabians Einstellung. Aus Verzweiflung entsteht Wut, und auf Wut folgt die Tat. Nur wenn er sich wehrte, bekam alles einen Sinn.
Loki studierte die Zeitung. Noch hielt er alle Fäden in der Hand. Das Publikum las, ohne zu verstehen, die Polizei rannte und kam doch nicht vom Fleck. Wichtige Hinweise wurden übersehen und private Probleme schränkten das Urteilsvermögen ein. Die Welt des Chefermittlers brach zusammen, weil seine Frau ihn verlassen hatte. Wo Verstand gefragt war,
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