Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fingermanns Rache

Fingermanns Rache

Titel: Fingermanns Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Weiglein
Vom Netzwerk:
gebracht.«
    Marion dachte sich ihren Teil und fragte: »Gibt es zu den damaligen Ereignissen Unterlagen?«
    »Aber natürlich«, antwortete Miriam Eisen stolz und führte die beiden zu einer Tür am anderen Ende des Ganges. Sie zog einen Schlüssel hervor und öffnete. »Hier befindet sich das komplette Archiv der Brücke. Ich habe alles aufgehoben.«
    Erstaunt betraten Marion und Bakker einen großen, fensterlosen Raum, der von alten Glühlampen erhellt wurde. Massive Regale, gefüllt mit Ordnern, reichten bis zur Decke.
    Zielstrebig ging die Frau auf ein Regal zu und zog einen Ordner hervor. Mit krauser Stirn blätterte sie darin, um ihn dann Marion zu geben. Bakker blickte seiner Kollegin über die Schulter, während sie die Unterlagen studierte. Marion fand Johannes’ Sterbeurkunde und Angaben zu seinen Eltern. Außerdem den dürren Lebenslauf Wilburs, der mit handschriftlichen Bemerkungen versehen war. Kurz überflog sie die wenigen Zeilen: Mutter bei der Geburt verstorben, Vater Alkoholiker. Das Sorgerecht wurde ihm schon nach zwei Monaten entzogen. Keine weiteren Verwandten. Wilbur wurde als verschlossen und schwer erziehbar beschrieben.
    »Kann ich das mitnehmen? Ich werde es auch baldmöglichst zurückschicken«, sagte sie.
    Miriam Eisen atmete tief durch. »Ungern, aber wenn ich die Unterlagen wiederbekomme: na gut.«
    Bakker drängte sich vor. »Gibt es auch Protokolle über die Unfälle? Sie wissen schon.« Ein herablassendes Lächeln lag auf seinem Gesicht.
    In Miriam Eisens Gesicht arbeitete es. Seufzend sagte sie: »Jetzt, wo alle tot sind, sollte der Wahrheit Genüge getan werden; ich muss ein Geständnis ablegen.«
    Die beiden Polizisten horchten auf.
    »Die Unfälle«, Miriam Eisen stockte, »manchmal waren es so viele. Und dann gab es Fragen von anderen Behörden. Untersuchungen wurden durchgeführt, unangenehme Menschen störten den Heimbetrieb. Da blieb nur ein Ausweg.«
    »Was für ein Ausweg?«, fragte Bakker scharf.
    »Gift«, antwortete Miriam Eisen mit glänzenden Augen. »Tödliches Gift im Hagebuttentee.«
    Bakker wurde bleich.
    »Erst Übelkeit, dann Würgereiz und zum Schluss Atemstillstand.«
    Bakker öffnete seinen Hemdkragen, Marion beobachtete interessiert die alte Dame, die lächelnd ergänzte: »Wirkt aber nur bei einfältigen Polizisten.«
    Perplex starrte Bakker Miriam Eisen an, die sich freute wie ein Kind.
    »Das war lustig«, sagte sie. »Früher haben wir oft Scherze gemacht, da ging es hoch her bei uns. Ja, auch im Heim wurde viel gelacht.«
    Bakker ballte seine Hand zur Faust. Marion drängte ihn zur Tür und sagte: »Ich glaube, wir gehen jetzt besser.«
    Miriam Eisen wurde plötzlich wieder grau, sie schien regelrecht zu schrumpfen. Verunsichert fragte sie: »Hab ich Sie beleidigt? Das tut mir leid. Ich habe mich so über Ihren Besuch gefreut.«
    Im Gang schüttelte Bakker Marions Arm ab. »Ich werde der Alten schon nichts antun«, brummte er.
    Miriam Eisen folgte den beiden und nahm wieder das Telefon ab. »Einen Moment noch«, rief sie und winkte mit dem Hörer. »Es ist Dr. Kronthal. Er hat noch einmal versichert, dass es Unfälle waren. Hören Sie selbst.«
    Marion nahm den Hörer und lauschte kurz. »Sie haben recht, Frau Eisen«, sagte sie. »Es ist alles in Ordnung.«
    Die alte Frau nickte zufrieden und verschwand in ihrem Wohnzimmer.
    *
    Auf dem Weg zum Hauptgebäude sagte Bakker: »Natürlich war mir klar, dass der Tee nicht vergiftet war, weil du ja einen anderen hattest. Die Alte hätte kaum einen Zeugen haben wollen.«
    »Genau«, entgegnete Marion lächelnd.
    »Und die Leitung?«
    »War natürlich tot.«
    »Was für ein Ausflug«, stöhnte Bakker.
    Die oberen Etagen des Hauptgebäudes waren nicht begehbar. Ein großes Loch zog sich durch alle Decken, sodass man vom Erdgeschoss bis in den Dachstuhl sehen konnte.
    »Hier waren wohl die Klassenräume und oben die Schlafsäle«, mutmaßte Bakker.
    »So wird es gewesen sein«, bestätigte Marion. »Gehen wir nach unten, vielleicht wird es da interessanter.«
    Ein modriger Geruch empfing die beiden. Die Lichtkegel ihrer Taschenlampen huschten an feuchten Wänden entlang und erhellten leer stehende Räume. Der Boden war mit einer dünnen Staubschicht bedeckt.
    »Da gibt es frische Fußabdrücke«, sagte Bakker. Die beiden folgten der Spur, die zu einer hohen, zweiflügeligen Tür führte. » WERKSTATT« stand auf einem verrosteten Schild. Bakker blickte Marion an – sie nickte. Vorsichtig drückte Bakker gegen

Weitere Kostenlose Bücher