Fingermanns Rache
regierten nun Emotionen. Falsche Freunde zeigten ihr wahres Gesicht und zerfleischten sich gegenseitig. Wie dumm konnten diese Spezialisten nur sein, dass sie das Offensichtliche nicht sahen? Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Entführers. Der Gipfel der Konfusion war noch lange nicht erreicht.
Wilbur Arndt für das BERLINER TAGESGESCHEHEN . Fortsetzung folgt.
*
Tag sechs, Freitagmorgen, der 18. April
Bakker und Marion Tesic warteten seit einer halben Stunde in Schortens Büro.
»Bernhard hat sich noch nie verspätet«, sagte Bakker. »Vielleicht sollten wir mal bei ihm zu Hause anrufen.«
Marion reichte ihm wortlos das Telefon.
Bakker zögerte. »Er mag es nicht, wenn er grundlos angerufen wird.«
Lächelnd nahm Marion das Telefon wieder zurück. »Du bist der Ranghöhere, du entscheidest.«
Bakker verzog säuerlich das Gesicht. In dem Moment flog die Tür auf, und Schorten stürmte in das Büro.
»Wer hat das zu verantworten?«, schrie er und knallte das BERLINER TAGESGESCHEHEN auf den Tisch. Bakker zog den Kopf ein, und Marion musterte verwundert ihren Chef.
»Karl, hast du diese Folge freigegeben?« Schorten fixierte Bakker, der unter seinem Blick immer kleiner wurde.
»Ich weiß nicht, wo das Problem ist«, sagte Bakker unsicher.
»Muss ich es noch extra vorlesen?«
Bakker studierte hilflos den Text. Er wusste offenbar nicht, was Schorten meinte. Auch Marion Tesic schien keine Ahnung zu haben.
»Hier steht«, Schorten tippte mit dem Zeigefinger auf die Zeitung, »dass der Chefermittler den Überblick verliert, weil ihn seine Frau verlassen hat.«
»Und das stimmt?«, fragte Bakker verwundert.
Schorten ließ plötzlich seine Schultern hängen, die ganze Anspannung fiel von ihm ab. Konsterniert setzte er sich. »Ihr wisst nichts davon«, stellte er fest. »Natürlich, woher auch?«
Schortens unordentliche Kleidung fiel auf. Das Hemd war ungebügelt, das Sakko passte nicht zur Hose.
»Ist was mit Ihrer Frau?«, fragte Marion Tesic.
Schorten zögerte mit der Antwort und massierte seine Schläfen. Nüchternes, überlegtes Handeln war seine Stärke, und jetzt ließ er sich von seinen Gefühlen leiten und gab sich der Lächerlichkeit preis. Ein unverzeihlicher Fehler. Dieser Wilbur Arndt setzte ihm mächtig zu, er spielte mit ihm. Nur welche Qualität das Spiel hatte, war unklar. Hatte Arndt mit seinen Provokationen einfach nur Glück, oder sollte sich Schortens insgeheim gehegter Verdacht tatsächlich bestätigen? Der zweiten Möglichkeit ging er selbst nach. Eine offizielle Untersuchung wollte er unbedingt vermeiden. Er wusste ja aus eigener Erfahrung, wie so etwas ablief. Man tauschte sich aus, Gerüchte entstanden, und bald kannte das ganze Revier intime Einzelheiten aus dem Privatleben des Hauptkommissars, die man auf den Gängen breittrat.
Um dem zuvorzukommen, schaute Schorten in die fragenden Gesichter seiner Mitarbeiter und sagte: »Ich hatte eine unruhige Nacht und bin etwas durcheinander, ihr müsst entschuldigen. Was meine Frau betrifft: Sie war gestern Abend nicht zu Hause, darum meine überzogene Reaktion. Die Überschneidung mit Arndts Ansage in der Zeitung ist reiner Zufall. Arndt versucht alles, um mich zu provozieren, und hat hier versehentlich ins Schwarze getroffen.«
»Deine Frau ist einfach so verschwunden? Das ist doch gar nicht ihre Art. Sie ist doch sonst immer so zuverlässig«, sagte Bakker übertrieben mitfühlend.
»Ich will das Thema nicht vertiefen, das ist privat«, entgegnete Schorten gereizt. Bakkers aufgesetztes Mitgefühl ärgerte ihn maßlos.
Doch Bakker hakte nach: »Dennoch ist die Sache merkwürdig. Erst das Verschwinden deiner Frau, dann Arndts Geschichte.«
»Ich glaube, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt. Mein Privatleben steht hier nicht zur Diskussion. Ist das klar?«
Bakker hob einlenkend seine Hände. Schorten fixierte ihn noch einen Augenblick und legte dann die Zeitung zu den Unterlagen.
»Kehren wir zu dem Entführungsfall Flaig zurück«, sagte er mühsam beherrscht. »Wo ist Herr Arndt?«
»Arndt schläft«, entgegnete Bakker vorsichtig.
»Dann hol ihn!«
»Geht nicht. Er ist vollkommen betrunken.«
Schorten zog scharf die Luft ein. »Hab ich dir gestern nicht gesagt, dass ich ihn nach der morgendlichen Besprechung sehen will?«
»Ja, schon. Aber ich bin doch nicht sein Kindermädchen.«
Jetzt explodierte Schorten. Er schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Mir reicht es, Karl! Deine Nachlässigkeiten hängen mir zum Hals
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