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Finish - Roman

Finish - Roman

Titel: Finish - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Moriarty wieder in eine leistungsstarke Laufmaschine verwandelt, und er verfügte über Reserven, die er selbst zu seiner aktiven Zeit nicht gehabt hatte.
    Doch obwohl Moriarty hart trainierte, widerstand er der Versuchung, wieder anzutreten. Das Training war physisch, der Wettkampf emotional. Und so sah er keinerlei Widerspruch zwischen Dr. Sutherlands Diagnose eines »Sportlerherzens« und seiner erstklassigen Laufleistung, mit der er Meile um Meile auf der engen Brooklyner Hallenbahn aufwartete. Moriarty fürchtete das Quäntchen mehr Anstrengung, das ein Wettlauf erforderte, und obwohl er es nur zu gern mit den großen englischen Läufern aufgenommen hätte, wusste er, dass er nicht mehr den Mut hatte, auf diesem Niveau zu kämpfen. Sich dazu zu zwingen, könnte sich als fatal erweisen.
    Da war es wieder, das gleichmäßige, rhythmische Trommeln oben an Deck. Es war also kein Traum. Mit beiden Beinen schwang er sich aus dem Bett, schlüpfte in seinen Morgenmantel und in die Lederpantoffeln. Dann verließ er die Kabine und ging den schmalen Flur hinunter zum Niedergang, der ans Deck führte. Die leicht bewegte See ließ das Schiff schwanken, seine Schultern rempelten an die eichenvertäfelten Wände, und als er die Tür zur Treppe aufstieß, schlugen ihm die Morgensonne und die feuchte Seeluft entgegen.
    Moriarty blickte über das beplankte Deck zum Bug der S.S. Troy , die ruhig durch die leichte Morgendünung glitt. Es war niemand zu sehen. Dann hörte er das Pochen erneut, diesmal gedämpfter, es kam von rechts und wurde lauter. Plötzlich begriff er, was es war – die Schritte eines Läufers.
    Kurz darauf kam ein muskelbepackter Mittdreißiger in dickem Rollkragenpullover, weißen Long Johns und Mokassins ins Sichtfeld. Ohne Moriarty zu bemerken, blieb er direkt über ihm stehen, wandte ihm den Rücken zu und stützte sich mit beiden Händen auf die Reling. Er beugte und streckte die Knie und atmete tief ein und aus.
    Moriarty musterte ihn. Der Läufer hatte langes, pechschwarzes Haar, das im Nacken mit einer Schleife zusammengebunden war. Selbst von hinten konnte Moriarty erkennen, dass Haut und Hände des Mannes nussbraun waren. Er räusperte sich.
    Der Läufer drehte sich um. Er hatte scharfe, klare Züge und durchdringende braune Augen – wie ein Habicht, dachte Moriarty und ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.
    »Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Sie beim Training gestört habe.«
    Der Läufer ergriff Moriartys Hand und drückte sie fest. »Keineswegs«, sagte er. »Ich war gerade fertig.«
    »Ich heiße Moriarty.«
    »Moriarty?«, nickte der Mann.
    »Und Sie?«
    »Louis Bennett«, erwiderte der Mann. »Manche nennen mich auch Deerfoot.«
    Moriarty hatte von Bennett gehört, ein echter Seneca, der einzige Amerikaner, der »Clipper« White, »Crowcatcher« Lang und den anderen großen englischen Profis, die die Amerikaner auf ihrer Tour entlang der Ostküste so gründlich abserviert hatten, wirklich gefährlich geworden war. Bennett erzählte ihm, er sei mit dem Buchmacher William M. Bunn und George Martin – dem P.T. Barnum des englischen Laufsports – nach England unterwegs, um die besten Engländer auf heimatlichem Boden herauszufordern.
    Während des Frühstücks erzählte Bennett von seiner bevorstehenden Tour. Echte Profirennen gegen englische Läufer und über Distanzen zwischen drei und zwölf Meilenstanden auf dem Programm. Auch Zeitläufe waren dabei, und sein Ziel war es, zwölf Meilen in unter einer Stunde zu schaffen. Außerdem plante George Martin einen fahrenden »Zirkus« von Spitzenläufern, die an jedem Spielort bis zu 20   000 Zuschauer anlocken sollten. Bennett sah einem äußerst lukrativen Monat entgegen.
    Moriarty erzählte von seiner eigenen Läufervergangenheit. Als Bennett Dr. Sutherlands Diagnose hörte, winkte er ab. Die Indianer seien ein Läufervolk, daran hätte selbst das Pferd, das mit dem weißen Mann im letzten Jahrhundert bei ihnen aufgetaucht sei, nichts geändert, und noch immer strotzten sie vor Gesundheit. Laufen habe eine religiöse Bedeutung, es mache die Erde fruchtbar, sorge für reiche Ernte und spiele in der indianischen Kultur eine entscheidende Rolle. Sollte es also tatsächlich so etwas wie ein »Sportlerherz« geben, dann hätten Jahrhunderte indianischer Läuferkultur noch keinen Beweis dafür geliefert.
    Am nächsten Morgen um sechs waren neben Deerfoots Schritten auch die Moriartys zu hören, und gemeinsam drehten die beiden ihre Runden über das

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