Finish - Roman
gebrochen. Er war am Leben.
Die ganze lange Zugfahrt zurück nach London konnte er an nichts anderes als an Eleanor denken. Es war, als säße ihm ein Kloß in der Kehle, und wie sehr er auch schluckte, er ging einfach nicht weg.
Nach dem Rennen hatte er sie nicht mehr gesehen. Lady Grafton hatte Eleanor eilends in Sicherheit gebracht, denn sie hatte genug gesehen, um zu wissen, dass die Beziehung zwischen dem Amerikaner und ihrer Tochter deutlich übers Schauspielern hinausging. Abends, als sich Moriarty wieder vollständig erholt hatte, ging der Zug Richtung Süden, und als Grafton seinen Gästen an der Bahnstation von Ambleforth Lebewohl sagte, war Eleanor nirgends zu entdecken.
Den Booths war die ungewöhnliche Schweigsamkeit ihres jungen Kollegen nicht entgangen, und da sie den Grund dafür ahnten, übten sie sich ebenfalls in stiller Zurückhaltung. Edwin beschränkte sich darauf, über die kommende Inszenierung des Richelieu in Covent Garden zu reden. Lyttons Stück war ein abgedroschener Gassenhauer, kam aber immer gut an, hatte viele starke Momente und bot Booth die Gelegenheit, seine schillernde Seite hervorzukehren. Die Besetzung stand bereits, und Barnett hatte die Zeit in London damit zugebracht, Kostüme und Bühnenbilder zu organisieren. Moriarty, der sich noch gut daran erinnerte, wie er während der Überfahrt aus den Vereinigten Staaten versucht hatte, Booth aus seiner Schwermut zu reißen, war seinem Freund für die Anteilnahme dankbar, doch so recht konnte er sich für das Unternehmen dennoch nicht begeistern. Er wusste, dass er in Eleanor eine Frau getroffen hatte, die über seine bisherigen Bekanntschaften hinausging und seine Bühnengalanterien und Künstlerzimmertechtelmechtel allein ihres Standes und ihrer Wurzeln wegen banal und unwichtig erscheinen ließen. Egal, welche Figur er vor den flackernden Rampenlichtern der Theater New Yorks oder Londons abgab oder wie seine Neue-Welt-Sicht auf die britische Aristokratie sein mochte, er war bestenfalls ein einfacher Schauspieler, schlimmstenfalls ein armer Bauernsohn. Schweigend und in Gedanken weit von Richelieu und Covent Garden entfernt fuhr er mit den Booths nach London.
Wider Erwarten waren die Vorzeichen für Richelieu gut. Deerfoot war in unglaublichen drei Wochen sieben erfolgreiche Rennen in Folge gelaufen und hatte im Sechs-Meilen-Rennen in den Copenhagen Grounds von Manchester vor 15 000 Zuschauern drei englische Topläufer vom Platz gefegt, nämlich White, »Crowcatcher« Lang und Richards, wobei Crowcatcher als Einziger bis zum Ziel im Rennen blieb. Deerfoots Taktik der unvorhergesehenen Spurts hatte die bornierten englischen Profis kalt erwischt.
Und Richelieu entpuppte sich ebenfalls als Triumph. Booths Können war stärker als der dürftige Plot. Selbst die Londoner Kritiker konnten kaum umhin zuzugeben, vielleicht ein wenig vorschnell geurteilt zu haben. »In der großartigen Schlussszene scheint Mr. Booth förmlich mit seiner Rolle zu wachsen «, schrieb die Times . Beim Lesen der Rezension hatte sich Moriarty ein grimmiges Lächeln nicht verkneifen können, denn der in eine weite Robe gewandete Edwin hatte die ganze Szene über auf Zehenspitzen gestanden.
Booth war in Hochstimmung, und es wurde entschieden, Richelieu mit Richard III., Hamlet und dem Kaufmann bis drei Tage vor Abreise nach Manchester zu geben, was herzlich wenig Zeit für Proben ließ.
Am 16. August brach die Truppe nach Manchester auf. Moriartys erster Eindruck von der Stadt war seinem Liebeskummer nicht gerade zuträglich, denn selbst im Sommer wurde die Sonne von den unerbittlich aus den Mühlen und Fabriken aufsteigenden Rauchschwaden verschluckt. Während der Zug zwischen heruntergekommenen Reihenhaussiedlungen und Fabriken hindurchzuckelte, musste Moriarty daran denken, wie er durch Iowa und Kansas und die endlosen Weiten des Westens getourt war. Kaum zu glauben, dass Manchester und Kansas auf ein und demselben Planeten lagen.
Die Vorstellungen liefen gut, Booth war in Bestform, doch es war ein junger Nebendarsteller namens HenryIrving, von dem Moriarty am meisten lernen sollte. Moriarty begriff sofort, dass Irving etwas ganz Besonderes war, ein Mann, der allem, was er spielte, sein Siegel aufdrückte. Als er den Jago zu Booths Mohr gab, konnte selbst Booth die Bühne nicht mehr beherrschen: Sie waren ebenbürtig.
Trotz Moriartys Wehmut verging der Monat in Manchester wie im Flug. Zusammen mit Booth verfolgte er Deerfoots Werdegang, inzwischen
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