Finish - Roman
Unvermögen allerdings nur unterstrich, nicht zuletzt, da er Booth gebeten hatte, den Jago zu spielen.
Es war die Desdemona der zwanzigjährigen Tochter des Earls, Eleanor, die Moriarty in ihren Bann schlug. Eleanor war beileibe kein Profi: allein, wie sie sich bewegte und sich selbst von einem stümperhaften Othello die Schau stehlen ließ. Doch sie hatte eine warme, volle Stimme, und – noch wichtiger – sie hatte Bühnenpräsenz. Wenn sie sprach, zog sie die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich wie ein Magnet.
Als später am Abend er an der Reihe war, um den König zu Booths Richelieu zu geben und dann Hamlets Monolog zu sprechen, spielte er nur für sie.
In der Pause gesellten sich Booth und Moriarty auf einen Drink zu den Zuschauern ins überfüllte Foyer. »Großartig!«, tönte der Earl mit einem Glas Champagner in der Hand und noch immer in seinem Othello-Kostüm und schloss die beiden in die Arme. »Haben Sie schon einmal Petruchio gespielt, mein Junge?«, fragte er seinen jüngeren Gast.
Moriarty entgegnete, er habe die Rolle als zweite Besetzung einstudiert. Der Earl drehte sich um und winkte seine Tochter herbei. Als sie sich ihren Weg durch die Menschen bahnte, konnte Moriarty die Augen nicht von ihr abwenden – schlank, hellrotes Haar, volle, weiche Lippen, hohe Wangenknochen, alles unterstrichen von der Theaterschminke, die an ihr nichts Ordinäres hatte und ihre Sinnlichkeit noch zu steigern schien. Er spürte, wie er rot wurde.
Der Earl legte einen Arm um Moriartys, den anderen um Eleanors Schultern. »Wie wär’s mit den letzten Seiten aus der Widerspenstigen ? Das kennst du doch auswendig, Eleanor, das hast du tausendmal oben in der Halle gespielt, ist deine stärkste Rolle, Mädchen.«
Ohne zu antworten, wandte Eleanor den Kopf und sah Moriarty direkt in die Augen. Ihr Vater redete unbeirrt weiter.
»Das Problem ist, lieber Moriarty, dass kein Petruchio unserer Eleanor gewachsen ist. Die armen Kerle sind total verschüchtert. Vielleicht muss da mal ein Profi ran. Was meinst du?«
»Gut möglich, Vater.« Die Stimme des Mädchens zitterte, und sie senkte den Blick. »Vielleicht muss mal ein Profi ran.«
»Also, wo soll ich anfangen?«, fragte Eleanor, die Hände im Schoß.
In der von Kerzen erhellten Stille des Künstlerzimmers saßen Moriarty und Eleanor einander gegenüber. Die Spannungzwischen den beiden war fast mit den Händen zu greifen.
Moriarty schluckte. Er blickte hinunter auf den Text.
»Wir sind hier«, sagte er und spürte, wie sie sich über seine Schulter beugte und ihr Parfüm ihn umfing. »Kurz vor Ihrer großen Rede.« Er tippte mit dem Finger auf die Seite. »Ich setze ein mit ›Ja, sag ich, mach mit der den Anfang!‹, und dann kommen Sie mit Ihrer großen Schlussrede.
»Wo es heißt ›Weshalb ist unser Leib zart, sanft und weich‹?«
»Ganz genau«, sagte Moriarty, und seine Stimme bebte. Sein Finger suchte die Zeile. »Es fängt an mit ›Pfui, pfui! Entrunzle diese droh’nde Stirn.‹«
Eleanor brauchte den Text nicht. In ihrem grünen Samtkleid stellte sie sich vor Moriarty hin, und Kates Schlussmonolog strömte nur so aus ihr heraus. Vom Augenblick gefangen, lauschte Moriarty ihrem Vortrag mit wiewohl kritischem Ohr, und kaum hatte sie geendet, fand er klare, deutliche Worte. Die Rede enthielt drei Schlüsselpunkte; wenn man an ihnen arbeitete, ließe sich der gesamten Dramatik eine entscheidende Wendung geben. Moriarty klang selbstsicher und bestimmt, und während er sprach, merkte er, wie sich die Balance zwischen ihnen verschob und er die Situation in der Hand hatte.
Auch Eleanor war dies nicht entgangen. Dennoch ließ sie sich bereitwillig auf seine Anweisungen ein. Ganze drei Male gingen sie ihre Rollen durch und saßen sich gegenüber. Moriarty unterbrach ihren Vortrag kein einziges Mal und ließ kleinere Fehler durchgehen, um der Dramatik keinen Abbruch zu tun.
Als sie mit dem dritten Durchlauf ihrer Schlussszene geendet hatten, herrschte Schweigen. Eleanor saß ihm gegenüber und starrte auf ihren Text, als müssten ihr die Zeilen noch ein besonderes Geheimnis preisgeben. Moriarty musterte sie aufmerksam. Das Mädchen war völlig abwesend.Er begriff, dass dort jemand mit wahrer schauspielerischer Leidenschaft bei der Sache war. Mehr noch: In der Stille des schummrigen kleinen Künstlerzimmers, umgeben von den Requisiten längst vergessener Aufführungen, wurde er gewahr, dass er zum ersten Mal mit einer Frau völlig eins war. Zugleich war
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