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Finish - Roman

Finish - Roman

Titel: Finish - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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die Bühne hegte. Und genauso verblüffend war, wie viel ungeschliffenes Talent sich hinter der Fassade aus Fischbein und hochgeschlossenen Miedern verbarg. Es war alles da, man musste es nur befreien. Und genau das war ihre Aufgabe – herauszuholen, was drinsteckte.
    Letztlich reichten meist ein paar simple Tricks. Eleanor und Moriarty ließen ihre Schüler Scharade spielen, um sie lockerer zu machen, dazu gab es ein paar Schlucke von Spooners 90-prozentigem Schlangenwasseröl, und die Sache war perfekt.
    »Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich der Kunst kommen«, dröhnte Moriarty, derweil seine Schüler versuchten, Blumen oder Bäume darzustellen, und dann, wenn sie endlich Feuer gefangen hatten, rief er: »Erobert die Bühne wie ein Vogel den Himmel; es ist Ihr Medium, Ladies und Gentlemen.«
    Doch wie begrenzt das schauspielerische Vermögen seiner Schützlinge auch sein mochte, Shakespeares Stücke wurden weder abgewandelt noch publikumsfreundlicher gemacht, denn viele kannten die Klassiker auswendig. Und obwohl Moriartys Othello doppelt so viele Rollen hatte wie vorgesehen, hielt man sich wortgetreu an den Text. Bei Davy Crockett konnte man sich mehr Freiheiten herausnehmen, und Moriarty erlaubte Buck, aus dem Vollen zu schöpfen.
    Im zweiten Akt liest die Heldin Eleanor (gespielt von Mandy) Davy (gespielt von Buck) gerade die Ballade des Young Lochinvar vor, als plötzlich Wolfsgeheul zu hören ist. Die Wölfe werfen sich gegen die Hüttentür.
    Eleanor: Nichts kann uns mehr retten!
    Davy: O doch!
    Eleanor: Was?
    Davy (küsst Eleanor): Der starke Arm eines Hinterwäldlers. (Davy versperrt die Tür mit seinem Arm. Die Wölfe belagern das Haus. Ihre Köpfe sind durch eine Öffnung in der Hüttenwand und unter der Tür zu sehen.)
    VORHANG
    Dem Vorhang dieses zweiten Aktes folgten stehende Ovationen, die Buck weidlich auskostete. Selbst Billy Joe, der ganz hinten im Saal stand und Bucks und Mandys Umarmung mit grimmiger Miene beobachtete, konnte sich einen mageren Applaus meistens nicht verkneifen.
    Der letzte Auftritt der Chanfraus als Cassio und Emilia in Othello endete weniger glücklich. Nach einer Partie Stud-Poker schuldete Eustace Chanfrau dem Bürgermeister 200 Dollar, und Moriarty traute seinen Augen nicht, als er beim tödlichen Dolchstoß der Schlussszene die »tote« Emilia erblickte, die hinter den Kulissen hastig ihre Sachen zusammenpackte, um sich mit ihrem Gatten, dem »entsetzten« Cassio, der noch auf der Bühne weilte, möglichst rasch aus dem Staub zu machen.
    Aus dem Tagebuch von Eleanor Cameron,
14. September 1875
    Noch nie haben wir einen so erfolgreichen Othello gegeben. Selbst hartgesottene Südstaatler, die früher während der Liebesszenen laut ihren Unmut kundzutun pflegten, waren von der Qualität der Inszenierung überwältigt. Buck war besonders brillant; er scheint ein instinktives Gespür für den Jago zu haben, für die nagende Eifersucht gegen Othello, die ihn schier auffrisst. Das Sawmill Theatre ist eines der besten im ganzen Westen, die Bühne hat die perfekte Größe für unsere kleinen Produktionen, so dass wir nicht unendlich viele Statisten brauchen.
    Davy Crockett haben wir an zwei aufeinanderfolgenden Abenden mit unterschiedlicher Besetzung gespielt. Es ist eine grässliche alte Klamotte, aber die Bürger von Virginia City waren durchweg begeistert, jubelten und johlten, als Buck in der letzten Szene vier Indianer abschlachtete. Doch die traurige Wahrheit ist, dass viele unserer Zuschauerkaum einen Unterschied zwischen Mayos Schnulze Davy Crockett und der echten, pulsierenden Kraft von Shakespeares Klassikern erkennen. Wir können also nur unser Bestes tun, ob bei Shakespeare, Ned Buntline oder Frank Mayo, und genau das tun wir.
    Dennoch ist eine kleine Wolke am Himmel aufgetaucht. Als der Vorhang bei Davy Crockett fiel, in der Mandy die weibliche Hauptrolle spielte, zog Buck sie wie immer an sich und küsste sie auf den Mund. Ich stand hinter den Kulissen und erhaschte einen Blick auf Billy Joes Gesicht. Es gibt keinen Zweifel, wie es um seine Gefühle steht.
    Beim Straßensprint ging es um großes Geld, der Einsatz lag bei 100 Dollar pro Teilnehmer, und dem Sieger winkten 3000 Dollar plus die Gewinne aus den Zusatzwetten.
    Billy Joe war ein unbeschriebenes Blatt in Virginia City, und seine Teilnahme interessierte so gut wie niemanden, denn schon immer waren blauäugige Cowboys angetreten, die allenfalls einen Sieg gegen den

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