Finish - Roman
aber nur, wenn du für’s Training selbst aufkommst.«
Billy Joe sah zu den Circle-X-Männern am Lagerfeuer hinüber. Dann nickte er und streckte die Hand aus. »Abgemacht«, sagte er.
»Abgemacht«, antwortete O’Grady.
Alexander O’Grady war stets überzeugt gewesen, dass nicht die Sezession das große Thema des 19. Jahrhunderts war, sondern die ungleich esoterischere Frage, ob man beim Sackrennen versuchen sollte, in seinem Sack zu laufen, wie es in Missouri üblich war, oder lieber beidfüßig hüpfte wie in Irland. Am glühend heißen Nachmittag des 21. Juli 1873 macht Billy Joe diese Frage hinfällig, als er in Virginia City bei einem Rennen über 60 Meter 300 Mäusegewann. Dass er dabei in einem extraweiten Sack steckte, den er eigens entworfen hatte, war ohne Belang. Er hatte die Strecke in elf Sekunden geschafft, mit ganzen zehn Metern Vorsprung gewonnen, und damit war die Diskussion beendet – zumindest für O’Grady.
O’Grady war gewieft, aber nicht immer klug. Oft genügte ein Kartenspiel am Abend, eine alberne Wette beim Froschweithüpfen oder Wanzenrennen, und das am Tag mit Billy Joes Schweiß sauer verdiente Geld war wieder dahin. Der Ire liebte es, immer nahe am Abgrund zu balancieren, denn dort lebte es sich am intensivsten. Trotz seiner Jugend war Billy Joe bedachter. Fürs Glücksspiel hatte er nichts übrig, seine Geschwindigkeit und Wendigkeit waren das Einzige, wofür er seine Hand ins Feuer hielt. Zwar kam es schon einmal vor, dass O’Grady irgendeinem Milchgesicht einen halben Meter zu viel Vorsprung gab und sie als zweite Sieger dastanden; doch das war lediglich Fehleinschätzung. Bei Fröschen und Wanzen und dergleichen hatten jedoch die Götter das Sagen, und dagegen konnte O’Gradys Chuzpe wenig ausrichten.
Im Sommer und Herbst des Jahres 1873 entwickelte sich zwischen dem Iren und dem jungen Texaner eine tiefe Freundschaft. O’Grady war fraglos ein außerordentlich gewieftes Schlitzohr, doch Billy Joe gegenüber war er grundehrlich. Allerdings bestand er darauf, dass Billy Joe sich einen Künstlernamen zulegte, sollte er sich für eine Karriere als Läufer entscheiden. In englischen Läuferkreisen war das gang und gäbe. Einige Läufer hatten sogar mehr als einen, um damit die Handicapper täuschen zu können. Und ein richtig knackiges Pseudonym sollte es sein, nicht ein lahmes Smith, Jones oder Brown. Und so wurde im September 1873 aus William Joseph Clark Billy Joe Speed.
Der Großteil von Billy Joes Wettkämpfen ging über die üblichen Distanzen von 50 bis 130 Metern und spielte sich in den kleinen Grubenstädtchen in Montana ab, wo jedesKaff seinen stärksten Kerl hatte, seinen besten Ringer, seinen schnellsten Mann. Die Bergleute, deren ganzes Leben einem Glücksspiel glich, waren begeisterte Wetter, und O’Grady brachte Billy Joe tunlichst bei, dass es nicht immer klug war, möglichst schnell zu laufen. Er wies Billy Joe an, den Lokalmatador im ersten Rennen auf der Linie zu erwischen und eher um Zentimeter als um Meter zu gewinnen. Danach würde Billy Joe seinem Gegner eine Vorgabe von nur wenigen Metern einräumen müssen, obgleich die tatsächliche Differenz zwischen den beiden mindestens doppelt so groß war.
Zudem waren die Bergarbeiter stets offen für Neues, und Billy Joe verdiente gutes Geld mit Wetthüpfen, Rückwärtsrennen sowie mit seiner Lieblingsdisziplin, dem Steineaufsammeln, bei dem es darum ging, auf einer Strecke von 400 Metern hin und zurück zehn Steine aufzusammeln, die 20 Meter hinter der Startlinie platziert waren. Doch Anfang Herbst 1873 hatten O’Grady und Billy Joe die Minenstädtchen Montanas weidlich abgegrast, und O’Grady beschloss, den Winter an den Fleischtöpfen San Fransciscos zu verbringen und Billy Joe zu seinen Eltern nach San Antonio zurückzuschicken. Die beiden Männer kamen überein, sich im kommenden Frühjahr in Wichita wiederzutreffen und den Bürgern von Kansas an die Brieftasche zu gehen.
Zurück auf der elterlichen Ranch in San Antonio, stellte Billy Joe fest, dass seinem Vater Adam der neue Beruf des Sohnes gefiel. Vor Jahren hatte ihm der Vater einmal erzählt, dass die Dörfer Kents seit Jahrhunderten Wettrennen gegeneinander veranstalteten. Der neunzehnjährige Billy Joe, der niemals ganz verstanden hatte, was es mit den Läufergeschichten seines Vaters aus dem fernen England auf sich hatte, hörte auf einmal gebannt zu. Der alte Mann konnte seinem Sohn uralte Läuferweisheiten mit auf den Weg geben, vom Sinn
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