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Finish - Roman

Finish - Roman

Titel: Finish - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gestanden und auf den Brief gestarrt. Er spürte einen mächtigen Kloß im Hals. Zum ersten Mal in seinem Erwachsenenleben strömten ihm Tränen über die glatten Wangen.
    Einen Tag später bahnte sich Billy Joe seinen Weg durch die wimmelnden, von Pferdeäpfeln übersäten Straßen Wichitas nordwärts Richtung Ellsworth.
    Bis Ende 1873 war Ellsworth die größte aller Trail-Städte gewesen, doch seit die dortigen Händler 1871 angefangen hatten, überhöhte Preise aufzurufen, ging es mit der Stadt bergab. Begünstigt durch die Aitchison Topeka & Santa Fe-Eisenbahngesellschaft, war nun Dodge City auf dem Weg nach oben. Vor den Bordellen der Stadt schaukelten die roten Lampen der Eisenbahner, und die ersten »Rotlichtviertel« waren geboren.
    Am 1. Juni 1874 stand Billy Joe mit gezogenem Hut auf dem Boot Hill außerhalb von Ellsworth in der Morgensonne und blickte auf O’Gradys Grab. Der Ire hatte noch nicht einmal ein anständiges Kreuz bekommen, denn nachdem Curly Bob ihn um seine Gewinne und die beiden Pferde erleichtert hatte, hatte der Bestatter nur noch 2,50 Dollar in seinen Taschen gefunden. Crane hatte ein Sieben-Dollar-Begräbnis veranstaltet, zwei Holzlatten über Kreuz gebunden und »A.P. O’Grady, 1821–1874« darauf eingebrannt. Billy Joe war überrascht: Er hatte seinen Freund und Manager für viel älter gehalten.
    Billy Joe ging zu Elias Crane, zahlte O’Gradys Schulden und kaufte für 20 Dollar ein Kreuz, auf das er »Alexander P. O’Grady, einmaliges Schlitzohr, 1821–1874, R.I.P.« eingravieren ließ. O’Grady hätte das bestimmt gefallen.
    Während die Inschrift angefertigt wurde, erkundigte sich Billy Joe bei Crane nach Curly Bob. Offenbar trieb sich O’Gradys Mörder noch in der Stadt herum und wohnte in einem der drei besten Gasthäuser, dem Bella Union Saloon. Auch hatte er sich O’Gradys Pferde unter den Nagel gerissen und mit Blackie bereits zwei Rennen gewonnen.
    Irgendwie spürte Billy Joe, was er zu tun hatte. Er überprüfte seine 45er, fettete sie, sicherte und entsicherte sie, stellte sein Holster ein Loch enger und zog den Beinriemenfest. Dann bestieg er seinen Fuchs und trottete schwitzend durch die drückende Mittagshitze in die Stadt.
    Erst als er durch die Schwingtüren des Bella Union trat, nahm er das heftige Pochen seines Herzens wahr. Mit trockener Kehle ging er auf den geschwungenen Holztresen zu. Der Saloon war alles andere als gut besucht – höchstens 20 Gestalten saßen dort herum. Er bestellte ein Bier und spürte genussvoll, wie ihm die kalte Flüssigkeit über die Zunge rann. Für einen winzigen Augenblick schien das innere Klopfen zu verebben.
    Er stützte sich mit dem rechten Ellenbogen auf die Bar und warf einen Blick in den Gastraum. Die Würfel- und Keno-Tische waren leer. In einer Ecke unter dem Gemälde einer »Hirschhatz« schliefen drei Betrunkene den Rausch der letzten Nacht aus. In der Mitte des Raumes spielten vier Männer Poker, nur ihre Ansagen und das Geräusch der Jetons war zu hören.
    Er sah zum Barmann hinüber, einem rattengesichtigen kleinen Mann mit hängendem Schnauzbart, der hauchend ein paar Gläser polierte. Billy Joes Herz begann wieder zu klopfen.
    »Haben Sie vielleicht Curly Bob gesehen?« In seiner festen Stimme lag ein leises Zittern.
    Der Barmann wischte an den Gläsern herum. Am Pokertisch legte ein klotzköpfiger Kerl mit Glatze seine Jetons aus der Hand und drehte sich um.
    »Ich bin Curly Bob«, sagte er.
    Das Klopfen wurde unerträglich, und einen Moment lang fürchtete Billy Joe, alle könnten es hören. Doch irgendwie schaffte er es, seiner knochentrockenen Kehle eine klare, kräftige Stimme zu entringen.
    »Dann sind Sie derjenige, der meinen Freund O’Grady umgebracht hat.«
    Curly Bob griff langsam nach seinen Jetons, nahm die beiden Karten auf, die ihm gegeben worden waren, und steckte sie zu seinem Blatt.
    »Jepp. Ich bin derjenige, der dieses irische Hochstaplerschwein kaltgemacht hat. Sind Sie ein Verwandter?«
    »Nein«, antwortete Billy Joe.
    »Dann hab ich mit Ihnen keinen Ärger, junger Mann.« Er starrte in seine Karten. »Ich lege zwanzig drauf«, sagte er und blickte den Weißbärtigen an, der ihm gegenübersaß.
    »Das sehe ich anders«, sagte Billy Joe, doch die Worte schienen von ganz woanders zu kommen. Gemächlich legte Curly Bob die Karten hin und stand auf. Er war groß, mit einem stattlichen Bauch, der sich über seinen schwarzen Pistolengürtel wölbte. Er schob seinen Stuhl zurück, und die

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