Finish - Roman
seine Aufmerksamkeit ihren höchst empfindlichen Schenkeln und Hüften zuwandte und das Hauptstück beginnen konnte.
Einen Moment lang wanderte ihr in den Spiegel gerichteter Blick zu Moriarty hinüber, der bäuchlings hinter ihr auf dem Bett lag. Wie ein Kind hatte er alle viere von sich gestreckt, und sein rechter Arm baumelte schlaff über der Bettkante.
Obwohl sie mit 34 fünf Jahre jünger war als er, war ihr schon vor Jahren klar geworden, dass die gemeinsame Zukunftsplanung in ihren Händen lag. Im Grunde war Moriarty noch immer der junge Sportler der New Yorker Kaledonischen Spiele von 1856.
Seit sie sich 1874 in St. Louis mit Billy Joe und Buck zusammengetan hatten, war die Englische Methode zweimal erfolgreich über die Bühne gegangen, und zusammen mit den kleineren einträglichen »Bluffs« nebenher waren sie dem festen »Theater des Westens« – seinem erklärten Ziel und ihrem sehnlichsten Wunsch – in den letzten Jahren um gut 30 000 Dollar nähergekommen. Eleanor hatte genug von den endlosen Meilen durch die öde Prärie, den verwanzten Hotels und schäbigen, rattenverseuchten Theatersälen. Und vor allem war sie die ewigen Wett-Betrügereien leid. Es war allemal an der Zeit, sesshaft zu werden.
Die ersten Jahre im Westen waren für Eleanor ein großes Abenteuer gewesen. Doch schon bald hatte sie begriffen, dass ihre in New York durch Groschenromane und romantische Stücke über das Pionierleben genährten Träume herzlich wenig mit der Wirklichkeit gemein hatten. Der Westen besaß keinen Theaterglanz, abgesehen von dem, den Schauspieler wie sie und Moriarty dorthin brachten. Stattdessen waren dort nichts als öde Weiten, erbärmliche hygienische Zustände, extreme Hitze und Kälte, jäher Tod und die zehrende Gier nach goldenen Dollars.
Für Moriarty hingegen boten die Englische Methode und ihre athletischen Zaubertricks die perfekte Mischung aus Sport und Theater; herrliche, wandelbare kleine Dramen, in denen er zugleich spielen und Regie führen konnte und die ihn nach dem letzten Vorhang weitaus reicher dastehen ließen als jedes Bühnendrama. Eleanor war schleierhaft, wie das enden sollte. Schon sah sie sich grau, alt und zerknittert noch immer zwischen Montana, Kansas und Arizona hin und her tingeln, um die Spieler des Westens über den Tisch zu ziehen und in zugigen Lagerschuppen und Sägemühlen bis zum Erbrechen Shakespeare und Ned Buntline zu geben.
Seltsamerweise hatte Moriartys schauspielerische Leistung trotz oder gerade wegen seiner Laufbesessenheit mit den Jahren stetig zugenommen. Er war zwar kein EdwinBooth, doch seine dramatische Vielfalt war beträchtlich, und selbst in den anspruchsvollsten Shakespearerollen wie Richard III. oder Macbeth zeigte er sich inzwischen recht virtuos. Obgleich Eleanor nicht an die dramatische Tiefe ihres Mannes heranreichte, hatte auch sie sich in ihren reiferen Jahren zu einer äußerst talentierten Schauspielerin gemausert.
Was die anderen betraf, war Billy Joe Speed immer wieder für Überraschungen gut. Die Schauspielerei fiel ihm leicht, genau wie das Laufen. Shakespeare, Dickens, Buntline, Marlowe – für Billy machte das keinen Unterschied. Eleanor war überzeugt, dass er nicht die Hälfte von dem verstand, was Shakespeare geschrieben hatte, doch er deklamierte die Reime so perfekt, als wären sie gerade erst geschrieben worden. Buck war ebenfalls gut, oft sogar besser als Billy Joe, doch genau wie das Laufen flog ihm die Schauspielerei nicht zu, und jeden Abend hockte er büffelnd über seinem Text, während sich Billy Joe bei Keno oder Blackjack vergnügte.
Mandy war für alle eine Offenbarung gewesen. Von Anfang an hatte sie einen unstillbaren Appetit auf das Theater gezeigt und die Manuskripte regelrecht verschlungen und konnte nun sämtliche der klassischen Inszenierungen sowie mindestens ein Dutzend der Dauerbrenner aus dem Repertoire auswendig. Ihre Hauptsorge dreht sich – genau wie bei Eleanor vierzehn Jahre zuvor – um Stimmprojektion und Gestik. Ihre Neigung, die richtige Körperhaltung zu vergessen, hatte mehrmals fast in eine Katastrophe gemündet.
Alles in allem, befand Eleanor, war es mehr als an der Zeit, die unstete Welt des Wandertheaters und der Englischen Methode hinter sich zu lassen und eine kleine Repertoirebühne an einem renommierten Etablissement wie dem »Jenny Lind« in San Francisco auf die Beine zu stellen und ernsthaft mit dem Theaterspielen anzufangen. Die jährlich in dieser Stadt verbrachten Winter
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