Finish - Roman
Stuhlbeine kreischten über den Holzboden. Curly Bob blickte Billy Joe direkt in die Augen. Seine groben Züge waren zu einer feierlichen Maske erstarrt. Er machte einen Schritt auf Billy Joe zu, und die Männer an seinem Tisch zogen sich hastig zurück.
Im Saloon herrschte absolute Stille. Einen Moment lang glich das Szenario einem Gemälde, und nur das Summen einer Fliege über dem Tresen war zu hören.
Alles geschah sehr langsam. Billy Joe sah, wie die Hand des Spielers zuckte und nach der Waffe griff. Schon hatte er seine eigene Waffe in der Hand, scharf und schussbereit. Curly Bob hatte noch nicht einmal Zeit gehabt, den Colt ganz aus dem Holster zu ziehen.
Mit heruntergeklappter Kinnlade ließ der Spieler seine Waffe wieder ins Halfter gleiten. Schweißtropfen glitzerten auf seiner Glatze und rannen ihm über die Schläfen. Curly Bob schluckte, und seine Stimme war ein Krächzen. »O Gott. Bring mich nicht um.«
Während die endlosen Meilen am Zugfenster vorbeiglitten, kehrte Billy Joe in Gedanken immer wieder zu jenem Moment in Ellsworth zurück. Es war ein Reflex gewesen, das Ergebnis stundenlangen Übens und zahlloser Träume von jenem magischen Augenblick, wenn er einem Mann gegenüberstünde und schneller zöge als ein geölter Blitz. SeinTraum war wahr geworden. Er war schnell, genauso schnell wie beim Üben, und das trotz des Drucks.
Doch er hatte nicht abgedrückt. Unter anderen Umständen hätte ihn das das Leben kosten können, und die unausgesprochene Frage, die diesem Zögern entsprang, verfolgte ihn auf dem Weg durch die Great Plains nach St. Louis. Seine Schnelligkeit hatte die Frage, ob er auf einen Mann schießen oder ihn gar umbringen könnte, hinfällig gemacht. Doch irgendwann würde das nicht genügen, und er würde gezwungen sein abzudrücken. Was würde er dann tun?
Er hatte Curly Bob O’Gradys Pferde abgenommen und sie am selben Nachmittag für 300 Dollar verkauft. Der Käufer, ein magerer, weißbärtiger Schotte namens Angus Gordon, hatte zwei Stunden lang verbissen gehandelt, ehe er mit dem Abschluss endlich zufrieden schien.
Während der Verhandlungen war der alte Schotte ins Plaudern gekommen. Im Juli würde er Blackie in St. Louis antreten lassen, sagte Gordon, wenn dort die großen Pferderennen und Wettläufe stattfänden; ein hübsches Sümmchen würde er mit dem kleinen schwarzen Gaul verdienen.
Billy Joe hatte die Ohren gespitzt. Der Jahrmarkt von St. Louis galt als das Glücksspiel-Mekka schlechthin, und regelmäßig versammelten sich dort die besten Gäule und die schnellsten Läufer des Landes. Schon vor dem Krieg sei das so gewesen, da konnten sie über diese neumodische Pferderennbahn in Saratoga sagen, was sie wollten. Die Gäule waren für Billy Joe nicht von Belang, und er fragte Angus Gordon nach den Wettläufen aus.
Gordon wiederum interessierte es herzlich wenig, was der Jahrmarkt an Läuferattraktionen zu bieten hatte. »Wette niemals auf was, das nur zwei Beine hat. Lass dir das von mir gesagt sein, Bürschchen.« Angeblich wurden dort Langstreckenläufe abgehalten, über eine Meile und mehr – einmal hatte Gordon da einen Landsmann gewinnen sehen, einen schottischen Schauspieler, der hatte am selben Abendnoch Othello gespielt, in einem richtigen Theater vor einem der großen Saloons. Was die Sprints anging, so meinte Gordon, gab es wohl etwas Langes, so um die 300 Meter, und was Kürzeres, vielleicht eher 100, und beide wurden auf derselben Rennbahn abgehalten, auf der auch die Pferde liefen. Und natürlich winkte großes Geld, da war er sich ziemlich sicher. Ganz großes Geld.
9
DER GROSSE HOCHSPRUNG
VON SAN FRANCISCO
7. März 1876, Palace Hotel, San Francisco
Eleanor strich sich mit beiden Händen das Haar zurück und betrachtete sich im Spiegel. Erst vor wenigen Monaten in Virginia City hatte sie die ersten grauen Strähnen bemerkt.
Sie blies die Wangen auf und ließ die Luft in einem langen, deprimierten Seufzer entweichen. Wenn sie noch ein Kind kriegen wollte, war es jetzt höchste Zeit. Dass sie noch keins hatte, konnte zumindest nicht an mangelndem Eifer liegen.
Sie verschränkte die Arme, ließ die Hände unter ihren Morgenrock gleiten und umfasste ihre schweren, vollen Brüste. Noch waren sie zu Moriartys steter Wonne fest und prall, doch so leidenschaftlich er sich auch um sie bemühte, sie hatten Eleanor noch nie sinnlichen Genuss verschafft. Dennoch ließ sie ihn gewähren und spielte beim einaktigen Vorspiel bereitwillig mit, ehe er
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