Finish - Roman
Fortschritten zu erkundigen. Sein Geld war dahin, und er versuchte, es mit Fassung zu nehmen. Doch durch Billy Joes Verschwinden wurde die allgemeine Hysterie nur noch gesteigert, und aus New York, Chicago und St. Louis strömten die Glücksspieler in die Stadt. Jeder hatte seine eigene Theorie und Meinung zum Wettkampf, und San Francisco brodelte vor Gerüchten. Es wurde gemunkelt, Moriarty hätte ganz neue Springschuhe mit Federn in den Sohlen in der Hinterhand, das alles sei ein abgekartetes Spiel, im Boden der Manege verstecke sich ein Sprungbrett oder Trampolin, und eine Kommission von sportlich engagierten Bürgern hatte gefordert, eine unabhängige Jury sollte den Boden unmittelbar vor dem Wettkampf in Augenschein nehmen – und selbstverständlich hatte Barnum zugestimmt.
Moriarty mochte seinen Ohren nicht trauen. Hätte er Billy Joe Schuhe mit Sprungfedern besorgen können, er hätte es sofort getan. Doch er war auf der Ranch gewesenund hatte gesehen, wie Billy Joe seinen Hintern mit Hängen und Würgen über 1,68 Meter hievte. Nein, Billy Joe würde nur 1,80 schaffen, wenn ihm eine Erleuchtung zur Überwindung der Schwerkraft gekommen wäre, was in etwa der Entdeckung des Heiligen Grals oder des Perpetuum mobile gleichkäme.
Was ihre Auftritte am Jenny Lind Theatre anging, hatte der große Hochsprung-Wettkampf hingegen Wunder bewirkt. Die von Barnum hofierten Zeitungen hatten aus Moriarty den Trainer des Jahrhunderts gemacht, der sportliches Rohmetall in Gold verwandeln konnte. Der Schotte war zu mehreren Vorträgen über den »Modernen Menschen und das sportliche Ideal« gedrängt worden, die er und Barnum an vorstellungsfreien Abenden im »Jenny Lind« abhielten. Und Barnum hatte sich äußerst großzügig gezeigt und Moriarty mit der Begründung, die Vorträge seien gute Werbung für den Zirkus, mit 75 Prozent an den Einnahmen beteiligt.
Eleanor hatte bereits früh beschlossen, dass es keinen Sinn hatte, mit ihrem Mann über die Wette zu diskutieren. In der ersten Woche nach Wettabschluss hatte sie sich damit begnügt, Türrahmen (sie waren knapp über 1,80 hoch) eines kritischen Blicks zu würdigen und dann kopfschüttelnd hindurchzugehen. Doch das half nur wenig. Nach Moriartys erstem und letztem Besuch auf der Ranch hatte sie begriffen, dass sein unbekümmerter Optimismus der ersten Stunde verflogen war. Er redete weder über den Besuch noch über die Wette, und so konnte sie nur vermuten, dass irgendetwas Unerfreuliches vorgefallen war und ihm die Hoffnungslosigkeit der Situation vor Augen geführt hatte. Und da sie es von Anfang an geahnt hatte, kratzte es sie wenig, und sie konnte sich auf die neuen Kostüme für ihre Inszenierung des Julius Caesar im April konzentrieren.
Am Morgen des 17. März gingen gefälschte Eintrittskarten in Downtown San Francisco für den zehnfachen Preis ihres Nennwertes von drei Dollar weg. In Barnums riesigem Zelt drängten sich 6300 aufgekratzte Zuschauer und blickten in die geharkte und gewalzte Mittelmanege. Draußen standen 10 000 weitere, die dafür gezahlt hatten, überhaupt vor die Tür gelassen zu werden. Sie bevölkerten das frisch umzäunte Gelände rund um das große, schwarz-weiß gestreifte Zirkuszelt und ließen sich von Clowns und Zauberern unterhalten, ehe zwei Jahrmarktschreier sie per Megafon über die neuesten Geschehnisse im Zeltinneren auf dem Laufenden halten sollten.
Keine Frage, dachte Moriarty, als er das weite Zelt betrat: Barnum hatte wirklich den letzten Cent aus der Veranstaltung rausgeholt. Plakate, auf denen ein gleich einer Kanonenkugel durch die Luft sausender Billy Joe oder die wie ein Pegasus schwebende Salamander abgebildet waren, verkauften sich wie geschnitten Brot. Barnum hatte die Konzessionen für Speisen und Getränke zu astronomischen Summen vergeben, und es gab mindestens 20 Medizinshows und Astrologen, die gegen ein angemessenes Entgelt bereit waren, das Ergebnis des Wettkampfes zu erwägen.
Um zwölf Uhr stand Moriarty neben Barnum in der Hauptmanege und sah zu, wie die Hürden mit einer Feierlichkeit hereingetragen wurden, die dem russischen Zaren alle Ehre gemacht hätte. Die Menge brach in staunende Ooohs und Aaahs aus, als handelte es sich um die Kronjuwelen und nicht um ein Paar schlichte braune Holzböcke und ein halbes Dutzend Hickorylatten.
Ehrfürchtig wurden die Böcke von winzigen, mit seltsamen Phantasieuniformen bekleideten Zirkuspagen in der Manegenmitte abgestellt und die sechs Latten im rechten
Weitere Kostenlose Bücher