Finkenmoor
schüttelte sie ab und setzte sich auf. »Was soll ich denn jetzt machen? Mein Vater bringt mich um!«
»Chill erst mal, Mann! Vielleicht ist sie mit dem Bus nach Hause gefahren.«
Kilian stieß Josie von sich. »Du bist doch total bescheuert. Maxi ist acht. Die fährt doch nicht mit dem Bus in der Gegend herum.«
»Als ich sieben war, bin ich ganz alleine mit dem Zug nach Bremen gefahren«, konterte Josie und hielt Kilian eine Pille hin. »Schluck die, du bist ja voll durch den Wind.«
Kilian sprang auf, raufte sich die Haare. »Nein, ich muss meinen Vater anrufen, oder besser noch die Bullen. So eine Scheiße! Verdammt!«
»Chill doch endlich«, sagte Josie seelenruhig. »Und vergiss die Bullen, klar! Oder willst du, dass ich in den Knast wandere?«
Kilian spürte, wie sich sein Magen drehte.
»Wenn du zur Bullerei rennst, fliegen die doch als Erstes hier ein, und dann klammern die mich, ist doch logo!« Josie stand auf. »Oder bin ich dir auf einmal egal?«
»Quatsch!«
Sie nahm zwei Bierdosen von der Fensterbank und warf Kilian eine zu. »Okay. Dann lass uns erst mal was trinken, und dann sehen wir weiter.«
»Aber ich kann doch nicht einfach so tun, als wäre nichts gewesen!«
»Sagt doch keiner. Du bist nur völlig am Arsch. Du musst runterkommen, am besten bei ein paar Bier. Und dann helfe ich dir suchen. Versprochen.«
Kilian steckte eine Pille in den Mund und spülte sie mit Bier hinunter.
Josie reichte ihm dazu die Kornflasche, aus der sie während seiner Abwesenheit offensichtlich kräftig getrunken hatte, denn vorher war deutlich mehr in der Flasche gewesen. Kilian kippte den Schnaps in seine Kehle.
Wahrscheinlich hatte Josie recht. Jetzt nur nichts überstürzen. Für Maxis Verschwinden konnte es eine ganz logische Erklärung geben.
In gewisser Weise war sie ein selbstständiges Kind. Und immerhin hatte er den bescheuerten Dealer fast eine Stunde in drei Kneipen suchen müssen. Vielleicht war Maxi in den Real-Markt gegangen und hatte sich etwas zu essen besorgt. Sie tat immer das, was ihr gerade in den Kopf kam. Vor einem Jahr war sie im Kaufhof in Hamburg verloren gegangen. Verrückt vor Angst hatten er und sein Vater den ganzen Laden durchsucht, aber Maxi hatte sich ganz selbstständig an eine Verkäuferin gewandt und ausrufen lassen.
Kilian öffnete die zweite Dose und trank dazu Schnaps. Okay, ja, so gesehen ließ sich die Situation heute mit der im Kaufhof vergleichen. Er wurde ruhiger. Bier und Schnaps halfen ihm runterzukommen. Maxi war klug, gescheiter als er. Wahrscheinlich saß sie jetzt zu Hause frisch gebadet in ihrem pinken Bademantel vor dem Fernseher und lachte über irgendeine Zeichentrickserie. Der Gedanke gefiel ihm. Er leerte die Dose, sein Blick wurde glasig.
Sollte er seinen Vater anrufen, sich Gewissheit verschaffen? Josie schmiegte sich an ihn und schob ihre Zunge in seinen Mund. Kilian schwirrte der Kopf. Das Handy blieb aus, und er vergaß alle Probleme, als sich Josie auszog, ihm seinen Pullover über den Kopf streifte und ihre weichen Brüste gegen seinen kalten Oberkörper drückte.
Cuxhaven-Wernerwald
Schneeregen erschwerte die Sicht. Scheibenwischer schwangen über die Windschutzscheibe. Ronnys schweißnasse Hände rutschten immer wieder vom Steuer. Ohne den Blick von der Straße zu nehmen, drehte er das Radio an. »Sweet Dreams« von den Eurythmics dröhnte aus den Boxen.
Sein Blick streifte den Rückspiegel. Scheinwerfer näherten sich. Das Fahrzeug fuhr dicht auf, klebte beinahe an seiner Stoßstange. Polizei! Oder nicht? Ruhig bleiben, ermahnte er sich, drehte die Musik lauter und rutschte auf seinem Sitz hin und her. Ronnys Augen hetzten zwischen Straße und Rückspiegel. Keep cool, Alter, jetzt bloß keinen Fehler machen. Weiterfahren. Langsam.
Die Stelle, an der er abbiegen musste, kam in Sicht. Behutsam nahm er den Fuß vom Gas, setzte den Blinker kurzfristig und bog mit etwas zu viel Schwung von der Spanger Straße in den Lerchenweg ein.
Das Fahrzeug folgte ihm nicht.
Erleichtert atmete Ronny auf. Am Ende des Wohngebiets fuhr er in den Wernerwald und machte die Musik aus. Der Refrain von »Sweet Dreams« hatte ihn schon immer genervt.
Die Wohnsiedlung lag dunkel und wie ausgestorben. Augenblicklich fühlte er sich wieder stark und überlegen. Er hatte Mut bewiesen, seinen Plan in die Tat umgesetzt. Sie konnten ihn Fettsack nennen, auslachen, ignorieren oder hänseln. Heute hatte er bewiesen, dass er Schneid besaß, dass mehr in ihm steckte,
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