Finkenmoor
als ihm anzusehen war. Ronny triumphierte innerlich, ließ sich von einem seltenen Hochgefühl überrollen.
Nach einer Fahrt, die ihm endlos erschien, tauchten die Umrisse des Blockhauses auf. Zielstrebig ging er um den Wagen und öffnete den Kofferraum. Nun hatte er es ein bisschen eilig. Zum Abendessen durfte er nicht zu spät kommen. Er wollte weder eine Abweichung von seinen Gewohnheiten noch Auffälligkeiten riskieren. Ronny hob das betäubte Kind aus dem Kofferraum und trug die Kleine ins Haus. Diesmal würde alles anders laufen. Ganz anders.
Bei Cuxhaven-Altenwalde
Kilian zog die Decke über den Kopf, aber es half nicht. Er fand nicht in den Traum zurück. Sein Schädel brummte, und ihm war speiübel. Dazu zitterte er vor Kälte, sehnte sich nach einem dicken, warmen Plumeau.
Fröstelnd erhob er sich schließlich, trat an das nächste Fenster und pinkelte im hohen Bogen nach draußen. Dichter Nebel hing über den Feldern.
Maxi. Mit einem Schlag holte ihn das Gestern ein. Schrecken und ein schlechtes Gewissen klammerten sein Herz. Er ging zum Bett und fischte sein Handy aus der Jeans, gab den Pin-Code ein, fixierte wie gebannt das Display.
Einundzwanzig Kurzmitteilungen.
Kilian warf das Handy aufs Bett, als hätte er sich daran verbrannt. Er wollte die Nachrichten nicht lesen, die Mailbox nicht abhören. Einundzwanzig Mitteilungen. Das sprach für Probleme, er war erledigt, tot.
»Josie«, flüsterte er.
Sie rührte sich nicht.
Er fasste sie unsanft am Arm. »Josie! Verdammt noch mal, wach auf!«
Sie lallte unverständliche Worte im Halbschlaf.
Panisch machte Kilian das Handy aus und dachte fieberhaft nach.
Er konnte nicht sofort nach Hause. Unmöglich. Zuerst musste er wissen, was los war. Wenn Maxi etwas passiert war, dann stand es mit Sicherheit in der Zeitung. Klar. Gute Idee. Auf der Brockeswalder Chaussee gab es eine große Tankstelle. Da herrschte mit Sicherheit reger Betrieb, und er fiel nicht auf.
Keine fünfzehn Minuten später stoppte er den Wagen vor dem Shop, huschte hinein, blieb vor den Tageszeitungen stehen und überflog die Headlines. Nichts. Keine einzige Zeitung schrieb etwas von einem vermissten Kind. Vielleicht sorgte er sich umsonst.
Kilian entspannte ein wenig und sah sich um. Vor dem Bistrobereich hatte sich eine Schlange gebildet. Alle wollten Kaffee und belegte Brötchen. Er setzte die Kapuze seines Sweatshirts auf und wartete geduldig, bis er an der Reihe war. Der überhitzte Raum wärmte seine Glieder.
Zuversicht stellte sich ein.
Er nahm sich vor, zum Haus seines Vaters zu fahren und sich davon zu überzeugen, dass es kein Problem gab. Schneller als ihm lieb war, kam er an die Reihe und bestellte Kaffee und Fleischwurstbrötchen. Anschließend ging er ohne Eile zu seinem Fahrzeug, startete den Motor, trank einen Schluck Kaffee und atmete erleichtert auf, als er auf die Theodor-Heuss-Allee auffuhr.
Er war noch keinen Kilometer gefahren, als ihn zwischen den Feldern ein Streifenwagen überholte und aufforderte, stehen zu bleiben. Kilian unterdrückte den Impuls, das Gaspedal einfach durchzutreten, als er einen zweiten Streifenwagen mit Blaulicht von vorn auf sich zurasen sah.
Cuxhaven-Wernerwald
Als Ronny an diesem Morgen besonders langsam in den Wernerwald fuhr, kamen ihm zwei Wanderer entgegen. Sie nickten ihm zu, und er erwiderte den Gruß. Eine dünne Schneedecke bedeckte die schmalen Wege. Als er das Versteck erreichte, stieg er aus. Wind fuhr in die Bäume. Ronny bemerkte, dass erst wenige Blätter gefallen waren. Ungewöhnlich für Mitte November. »Sitzt im November noch das Laub, wird der Winter hart, das glaub.« Bauernweisheiten. Seine Mutter textete ihn mit solchen Sprüchen zu.
Ronny hörte den Wind, der die Äste der Bäume schüttelte, und spürte die kalte Klinge in seinem Ärmel. Er war gespannt, wie es der Kleinen ging. Mit einem Ruck öffnete er die schmale Tür zum Untergeschoss. Maxi weinte, also hatte sie die Nacht überstanden.
Das Verlangen, die Angst in den Augen der Kleinen zu sehen, war jetzt übergroß. Ronny hastete die Stufen hinab. Der Gestank war grauenvoll. Offenbar hatte Maxi Durchfall, wie die Viecher, die vor ihr in den Stahlkäfig gekackt hatten. Er zog eine Taschenlampe hervor, trat vor die robusten Gitterstäbe und leuchtete dem Kind direkt ins Gesicht. Sie drückte sich in die hinterste Ecke.
Angeekelt ging Ronny in die Hocke und zog den Schlüsselbund aus seiner Hosentasche. Das verdammte Schloss hakte wieder, diesmal
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