Finkenmoor
mich auf Post. Und bitte: Drückt mir weiter die Daumen wegen der Verlegung! Irgendwann muss es ja klappen.
Dies schrieb, euer Junge!
Cuxhaven 2012, Haydnstraße
Akribisch trug Norma die Namen ihrer Kleinen in die dafür vorgesehenen Spalten der Anträge auf Kindergeld ein, die ihr Frau Schrot von der Arbeitsagentur mitgegeben hatte.
Erfreut stellte sie fest, dass ihr pro Baby bis zu einhundertvierzig Euro zustanden. Bei sechs Kindern konnte sie demnach mit einer guten Finanzspritze rechnen. Was für Aussichten! Vorsorglich meldete sie auch Stephen an. Er würde zwar erst in den nächsten Tagen geliefert werden, aber darin sah Norma kein Problem.
Wie sie aus dem beigelegten Informationsblatt erfuhr, gab es die Möglichkeit, einmalige Hilfe für die Erstausstattung zu beantragen, an Kosten, die für Kinderwagen, Laufstall und Bettchen anfielen, beteiligte sich der Staat.
Norma fiel ein Stein vom Herzen. Sie füllte die Spalten mit den gewünschten Auskünften und druckte für jedes Kind eine bunte Geburtsurkunde aus dem Internet aus. Für die drei Jungen hellblau mit Segelschiffmotiven, für die Mädchen rosa mit niedlichen Elefanten.
Bei strahlendem Sonnenschein packte Norma die Zwillinge in den Kinderwagen und brachte den Umschlag zur Postfiliale in der Segelckestraße. Mit sich und der Welt zufrieden, betrat sie danach den Drogeriemarkt gegenüber der Post, kaufte Pampers, Babyshampoo und einen neuen Schnuller für Kitty.
Auf dem Heimweg verließ sie der Schwung. Ihre Schritte wurden schwerer. Unter enormer Kraftanstrengung trug sie den Kinderwagen in die zweite Etage, versorgte die Kleinen und bestellte beim Lieferservice eine große Pizza Tonno mit extra Peperoni. An diesem Wochenende ging sie nicht mehr vor die Tür und verfolgte die Berichterstattung rund um das Duhner Wattrennen vom Sofa aus. Gern hätte Norma das Spektakel um Galopper, Traber, Fallschirmspringer und Cheerleader-Tanz mit ihren Lieben besucht, aber sie fühlte sich unheimlich kraftlos.
So igelte sie sich tagelang ein, erwachte morgens meist zeitig und brauchte mittlerweile beinahe zwei Stunden, um alle Babys für den Tag anzuziehen und mit Frühstück zu versorgen. Jason, Claire sowie die Zwillinge Amy und Brandon konnten jetzt im Kinderstühlchen am Tisch sitzen. Für diese vier hatte Norma Arm- und Beinverlängerungen gekauft.
Schließlich wuchsen Kinder ja heran.
Kitty musste hingegen noch auf dem Arm gefüttert werden. Zeitweise artete die Versorgung ihrer Familie in Stress aus, aber Norma wurde, wie sie selbst feststellte, immer routinierter.
Einen großen Teil des Schlafzimmerschranks füllten Babysachen. Ordentlich gestapelt nahmen Strampler, Strickjäckchen, Socken, Mützchen und Schlafanzüge immer mehr Regalbretter ein. Das störte Norma nicht im Geringsten. Zeitweise fühlte sie sich einfach großartig, studierte Werbezettel der Discounter, deckte sich mit Vorratspackungen von Pampers und Babynahrung ein.
Mittlerweile trug jedes Kind je nach Geschlecht entweder ein rosa oder ein hellblaues Perlenarmband mit Namen und Ankunftsdatum am Handgelenk, die Geburtstage standen gut lesbar auf dem Küchenkalender. Ihre Mutter hatte neulich davor gestanden. »Wer sind denn Amy und Brandon?« Norma verstand die Welt nicht mehr. Deine Enkel! Die Zwillinge! Sie fragen ständig nach ihrer Oma!
Am liebsten hätte Norma ihre Mutter an den Schultern gepackt und einmal kräftig durchgeschüttelt. Doch dann überfiel sie wieder dieses Ohrensauen. Es suchte sie seit einiger Zeit aus heiterem Himmel heim. Norma schrie ihrer Mutter nichts entgegen, ließ sich in solchen Situationen aufs Sofa fallen und bat um ein Glas Wasser. Iska kümmerte sich, hakte nicht nach, und Norma fühlte jedes Mal Erleichterung.
Das nächste Paket kam an einem Mittwoch im Juli. Norma versammelte ihre Lieblinge um den Esstisch. Gemeinsam sollten sie Stephen willkommen heißen. Mit klopfendem Herzen ritzte Norma das Klebeband des Kartons ein und stutzte.
Auf der Noppenfolie lag ein Brief. Neugierig faltete sie ihn auseinander:
»Meine Liebe, Stephen ist zurzeit nicht lieferbar. Es gibt Probleme mit der Herstellungsfirma in den USA. Deshalb schicke ich dir Ivo …«
Normas Hände zitterten.
»Er ist vollkommen fertiggestellt und sogar gerootet …«
Ohrensausen setzte ein.
»… Ivo ist einer meiner Lieblinge, ein süßer kleiner Kerl, der dir viel Freude bereiten wird.«
Ivo. Dreißigste Schwangerschaftswoche. Vorzeitiges Einsetzen der Wehen.
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