Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
jedes Mal ging er schnell in Deckung. Schließlich merkte er, wie müde er war. Er beschloss, sich einen Ort zum Schlafen zu suchen.
Das Viertel, in dem er sich gerade befand, gehörte sicher nicht zu den vornehmsten. Übermüdet lief Finn an uralten, baufälligen Häusern und Stapeln voller Abfälle vorbei und fand schließlich eine Lücke zwischen zwei Häusern, die ihn zu einer Kellertreppe führte. Dort, unter einem kleinen, hölzernen Regendach, rollte er sich zusammen und schlief erschöpft ein.
Finn erwachte äußerst unsanft davon, dass er hochgerissen und derb geschüttelt wurde. Er versuchte munter zu werden und zu begreifen, wo er sich befand, konnte aber das wütende Gesicht der Frau und die böse keifende Stimme zunächst nicht einordnen. Verwirrt sah er sich um; auch die Umgebung war ihm fremd. Verzweifelt versuchte er, sich aus dem harten Griff der Frau zu lösen, doch die schien geradezu Freude daran zu haben, ihn zu schütteln und wüst zu beschimpfen. Schließlich ließ sie ihn mit einem derben Plumps auf die Kellertreppe fallen.
Verschüchtert sah Finn sich unter den halbgesenkten Augenlidern um. Langsam kam die Erinnerung zurück, an den Verrat von Lydia und Heinz und daran, wie er die halbe Nacht über durch die Straßen gelaufen war.
„Und, wie ist dein Name?“, pöbelte die Frau und stieß in mit dem Schuh an. Finn wusste nicht, warum er es tat, aber eine innere Stimme riet ihm zur Vorsicht.
„Karl“, sagte er schnell, den ersten Namen nennend, der ihm einfiel.
„So, Karl!“
Die Frau sah ihn misstrauisch an. Plötzlich schüttelte sie den Kopf.
„Aber du…“
Sie starrte ihm offensichtlich verwirrt in die Augen. Dann schüttelte sie energisch den Kopf.
„Nein, Blödsinn“, murmelte sie. „Und wie kommt so ein feiner Pinkel wie du dazu, auf meiner Kellertreppe zu schlafen? Bist wohl von zuhause ausgebüchst?“, setzte sie hinzu.
„Nein, ich…“
Er schwieg einen Moment. Wie sollte er erklären, wer er wirklich war, wieso er in der Nacht auf den Straßen herum gelaufen war?
Aus den Augenwinkeln sah er, dass einige kleinere Kinder sich in den Winkeln des schmutzigen Innenhofes herumdrückten und mit großen Augen dem Geschehen zusahen. Sie sahen ungepflegt aus, dreckig und ungekämmt, und Finn erinnerte sich mit leichtem Entsetzen seiner eigenen, viel zu vornehmen Kleidung.
„Willst wohl nicht reden, was?“
Die schrille Stimme der dicken Frau brachte ihn in die Gegenwart zurück. Sie sah ihn mit einem hinterlistigen Blick an.
„Komm mit“, sagte sie und zog ihn hinter sich her, die Kellertreppe hinab und durch die Tür.
„Gib mir deine Jacke“, herrschte sie ihn an. Mit zitternden Fingern zog er Jacke aus und übergab sie der Frau, in deren Augen er beim Anblick seiner Kleidung ein gieriges Glitzern zu erkennen glaubte.
Dann sah sie Finn an.
„So, kleiner Karl“, sagte sie, „ich denke, man wird dich schon vermissen. Vermutlich werden deine reichen Eltern bereit sein, ein schönes Sümmchen für dich zu zahlen!“
Sie drehte sich um und knallte die Kellertür hinter sich zu. Sekunden später hörte Finn einen Schlüssel, der sich im Schloss drehte. Obwohl er sofort zur Tür lief, wusste er, dass es sinnlos war. Er war eingesperrt.
Aufstöhnend setzte er sich auf etwas, das in der Dunkelheit wie ein Stapel alter Lumpen aussah und sah sich um. Außer der Tür gab es nur noch ein kleines, vergittertes Loch, vor dem wohl mal eine Fensterscheibe gewesen war. Allerdings war dieses Gitterloch ziemlich weit oben. Alleine käme er sicher nicht aus diesem Keller heraus. Er konnte nur hoffen und beten, dass die böse Frau Heinz und Lydia nicht finden würde. Und wenn sie sie doch fände? Könnte er nicht behaupten, er habe sich nur verlaufen und den Weg zum Gasthof nicht gefunden? Aber der Wirt hatte ihn ja gesehen, als er wie von bösen Geistern gehetzt aus dem Gasthof gerannt war. Inzwischen hatten sich die beiden sicher ihr Teil gedacht und würden wissen, dass er sie belauscht hatte.
Nein, er musste einfach aus diesem schrecklichen Keller flüchten. Irgendwie musste es ihm gelingen.
Nach einer Weile gewöhnten sich Finns Augen an die Dunkelheit. Bis auf den Stapel Lumpen, auf dem er saß, gab es nur einen alten, verbeulten Blecheimer und etwas, das wie ein großer Koffer aussah, in seinem Gefängnis.
Finn stand auf, um sich die Sache näher anzusehen. Es schien tatsächlich ein Koffer zu sein, aber halb vermodert und nicht mehr besonders stabil. Er war
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